Der Azteke
vielleicht dem einzigen Krieg, den du je mitmachen wirst. Es wäre ein Jammer, am äußersten Rand der Kämpfe zu verbleiben, ein Jammer, nicht soviel Erfahrungen darin zu sammeln, wie nur irgend möglich.«
Allerdings kam ich nicht bis in die Nähe des Flusses, wo die Acólhua den Texcaltéca gegenübertraten. Ich hörte nicht einmal etwas vom Schlachtengetöse, bis die Acólhua vortäuschten, völlig überrascht zu sein, sich vom Fluß zurückzogen und der Feind – wie Nezahualpíli gehofft hatte – mit sämtlichen Verbänden hinter ihnen hersetzte. Dann allerdings vernahm ich das Gebell und Geheul des Schlachtgeschreis, die Schmerzensschreie und Flüche der Verwundeten und über allem das Geschwirr der Pfeile und das Zischen der Wurfspieße. Keine unserer Spielzeugwaffen in der Schule, denen jede Spitze genommen worden war, hatte irgendein bestimmtes Geräusch von sich gegeben. Was ich jetzt jedoch hörte, waren echte Wurfgeschosse, mit Spitzen und Schneiden aus scharfem Obsidian, und – gleichsam als frohlockten sie über ihre Fähigkeit, den Tod auszuteilen –, sie sangen förmlich, als sie durch die Luft flogen. Pfeilen, Speeren und Spießen habe ich in unserer Bilderschrift stets jenes geringelte Symbol beigefügt, das »Singen« bedeutet.
Ich kam nie näher heran als an den Schlachtenlärm – welcher erst von rechts voraus kam, von dort, wo die Heere am Fluß aufeinanderprallten, und sich dann weiter nach rechts verschob, als die Acólhua flohen und die Texcaltéca sie verfolgten. Dann dröhnten unversehens Nezahualpílis Signaltrommeln auf und gaben das Zeichen, daß die Wände des Fluchtkorridors sich aufeinander zubewegten, und die Geräusche des Schlachtgetümmels nahmen beträchtlich an Stärke zu: das spröde Klirren von Waffen gegen Waffen, das dumpfere Aufschlagen, wenn Waffen auf Leiber trafen, das furchterregende Kriegsgeschrei des Kojotengeheuls, des Jaguarfauchens, der Adler- und der Eulenschreie. Lebhaft stellte ich mir vor, wie die Acólhua sich zurückhielten, nicht mit voller Kraft zuzuschlagen und zuzustechen, während die Texcaltéca verzweifelt mit all ihrer Kraft und all ihrem Können kämpften und sich keine Zurückhaltung auferlegten, wenn es galt zu töten.
Ich wünschte, ich könnte es sehen, denn das wäre eine aufschlußreiche Vorführung der Kampfestüchtigkeit der Acólhua gewesen. Da es bei ihnen nicht ums Töten ging, erforderte der Kampf von ihnen um so mehr Geschicklichkeit. Doch das Gelände zwischen mir und der Schlacht war gewellt, Gebüsch und Baumgruppen sowie die grauen Regenschleier und nicht zuletzt meine eigene Kurzsichtigkeit behinderten mir die Sicht. Ich hätte versuchen können, näher heranzukommen, doch plötzlich klopfte mir jemand zaghaft auf die Schulter.
Immer noch gebückt, wirbelte ich herum, reckte meinen Speer und hätte ums Haar Cozcatl durchbohrt, ehe ich ihn erkannte. Der Knabe stand gleichfalls in gebückter Stellung da und hatte warnend einen Finger vor die Lippen gelegt. Mit der rasch eingesogenen Luft brachte ich zischend heraus: »Cozcatl, verflucht! Was machst du hier?«
Er flüsterte: »Ich bin Euch gefolgt, Herr. Ich bin die ganze Nacht über in Eurer Nähe gewesen. Ich dachte, vielleicht könntet Ihr zwei bessere Augen gebrauchen.«
»Was nimmst du dir heraus, Junge! Bis jetzt habe ich noch keinen …«
»Nein, Herr, bis jetzt noch nicht«, sagte er. »Aber jetzt, ja, jetzt tut Ihr es. Einer von den Feinden nähert sich. Er würde Euch gesehen haben, ehe Ihr ihn sehen könntet.«
»Was? Ein Feind?« Ich duckte mich womöglich noch tiefer.
»Jawohl, Herr. Ein Jaguarritter in vollem Kriegsornat. Er muß sich den Weg aus dem Hinterhalt freigekämpft haben.« Cozcatl wagte es, den Kopf ein wenig zu recken, weit genug, um rasch einen Blick in die Runde zu werfen. »Ich glaube, er hat vor, einen Bogen zu schlagen und unsere Männer von hinten anzufallen, wo sie niemand erwarten.«
»Sieh nochmal hin«, forderte ich ihn dringlich auf. »Sag mir genau, wo er ist und wohin er geht.«
Der kleine Sklave fuhr mit dem Kopf in die Höhe, zog ihn aber sogleich wieder ein und sagte: »Er steht vielleicht vierzig lange Schritte zu Eurer Rechten, Herr. Er bewegt sich ganz langsam voran, gebückt, aber er scheint nicht verwundet zu sein, nur vorsichtig. Wenn er weiter vorangeht wie bisher, wird er zwischen zwei Bäumen hindurchkommen, die zehn lange Schritte vor Euch wachsen.«
Mit diesen Richtungsangaben wäre es selbst einem Blinden gelungen,
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