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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Baumwolle; und Bündel lebendiger glucksender Huaxolóme (jener großen, schwarzen Vögel mit den roten Kämmen und Ohrlappen, die ihr Gallipavos – Truthähne – nennt) sowie ganze Kisten mit Truthahneiern; und Käfige mit den unbehaarten und eßbaren Techichi-Hunden, die nicht bellen; und mächtige Hirschkeulen, Hasen und Wildschweine; und Krüge mit dem wasserklaren süßen Saft der Maguey-Pflanze oder dem sämigeren weißen Gärungsprodukt eben dieses Saftes, das berauschende Getränk Octli …
    Mein Vater zeigte mir all diese Herrlichkeiten und nannte mir ihre Namen, als uns plötzlich eine Stimme unterbrach: »Für nur zwei Kakaobohnen, mein Herr, werde ich Euch die Wege und Tage deuten, die sich jenseits Eures Sohnes Mixtli Namensgebungstag erstrecken.«
    Mein Vater drehte sich um. Unmittelbar neben ihm und nicht viel höher hinaufreichend als bis zu seinem Ellbogen stand ein Mann, der selbst einer Kakaobohne gar nicht unähnlich war. Er trug ein zerrissenes und schmutziges Schamtuch, und seine Haut hatte die Farbe des Kakaos: sie war von einem so dunklen Braun, daß es fast schon violett wirkte. Sein Gesicht war über und über mit Runzeln bedeckt genau wie die Kakaobohne. Möglich, daß er früher einmal wesentlich größer gewesen war, jetzt aber stand er gebeugt, in sich zusammengesunken und geschrumpft da von der Last der Jahre, die niemand hätte schätzen können. Recht bedacht, muß er ungefähr so ausgesehen haben wie ich heute. Den Handteller nach oben, streckte er seine Affenhand aus und wiederholte noch einmal: »Zwei Bohnen, Herr.«
    Mein Vater schüttelte den Kopf und sagte höflich: »Wenn ich etwas über die Zukunft erfahren will, gehe ich zu einem Weitseher.«
    »Habt Ihr jemals einen dieser Seher aufgesucht«, fragte der Gebeugte, »und erlebt, daß er Euch augenblicklich als Meistersteinhauer von Xaltócan erkannt hätte?«
    Mein Vater machte ein verblüfftes Gesicht, und es entfuhr ihm: »Dann seid Ihr ein Seher. Ihr habt das Gesicht. Wieso denn …«
    »Wieso ich in Lumpen herumlaufe und die Hand ausstrecke? Weil ich die Wahrheit sage und die Menschen wenig auf die Wahrheit geben. Die Seher nehmen den heiligen Pilz zu sich und träumen Träume für Euch, weil sie für Träume mehr verlangen können. Mein Herr, die feinen Runzeln auf Euren Knöcheln sind weiß vom Kalkstaub, aber Eure Hände weisen keine Schwielen auf, wie sie der Steinbrucharbeiter oder der Steinmetz durch sein Handwerkszeug bekommt. Seht Ihr? Die Wahrheit ist so billig, daß ich sie sogar umsonst weggeben kann.«
    Ich lachte, und mein Vater stimmte in dies Lachen mit ein. »Ihr seid ein altes Schlitzohr. Aber wir haben noch anderswo viel zu tun …«
    »Wartet«, sagte der Mann und ließ nicht locker. Er beugte sich noch tiefer und schaute mir in die Augen, wobei er den Kopf freilich nicht wesentlich weiter zu senken brauchte. Ich hielt seinem forschenden Blick stand und wich ihm nicht aus.
    Man hätte annehmen können, daß der bettelnde alte Gauner sich in der Nähe herumgedrückt hatte, als mein Vater mir den gesüßten Schnee kaufte, und dabei mitbekommen hatte, daß ich meinen so bedeutsamen siebenten Geburtstag feierte – und uns für Einfaltspinsel vom Lande hielt, die in der Stadt ihr Geld mit vollen Händen ausgaben und leicht zu prellen waren. Doch viel später, als die Ereignisse in meinem Leben mich dazu brachten, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was genau er gesagt hatte.
    Forschend blickte er mir in die Augen und murmelte: »Jeder Seher kann weit die Wege und die Tage entlang sehen. Selbst wenn er etwas erkennt, was sich wirklich bewahrheiten wird, wird das weit, weit entfernt in Zeit und Raum geschehen, und so betrifft es den Seher selbst weder so noch so und bedroht ihn auch nicht. Das Tonáli dieses Jungen ist es jedoch, die Dinge und das Geschehen der Welt ganz, ganz aus der Nähe zu betrachten, sie nahe vor seinen Augen zu haben, sie ganz deutlich zu erkennen und zu begreifen, was sie zu bedeuten haben.«
    Er richtete sich auf. »Anfangs wird dir das hinderlich im Weg stehen, Junge, doch könnte diese Art von Nahsehen dich Wahrheiten erkennen lassen, welche die Weitseher übersehen. Solltest du es fertigbringen, diese Gabe zu deinem Vorteil zu nutzen, müßte sie dich eigentlich reich und groß machen.«
    Mein Vater seufzte geduldig und griff in seinen Sack.
    »Nein, nein«, wehrte der Mann ab. »Ich prophezeie Eurem Sohn weder Reichtümer noch Ruhm. Ich verspreche ihm auch nicht die Hand einer

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