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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Tlatelólco mit Waffengewalt genommen. Axayácatl höchstpersönlich stieß Moquihuix von der höchsten Spitze der Emporkömmlingspyramide herab und zerschmetterte ihm den Schädel. Nur wenige Monde später, als mein Vater und ich Tlatelólco betraten, war es zwar immer noch eine schöne Stadt voller Tempel, Paläste und Pyramiden, gab sich jedoch damit zufrieden, der fünfte Stadtteil von Tenochtítlan zu sein, das Marktplatzanhängsel der Stadt.
    Der immense Marktplatz unter freiem Himmel wollte mir so riesig vorkommen wie die ganze Insel Xaltocan, und noch reicher und noch wimmelnder von Menschen und bei weitem geräuschvoller. Gänge teilten den riesigen Platz in regelmäßige Gevierte auf, in denen die Händler auf Steinbänken oder Bodentüchern ihre Waren ausbreiteten, und jedes Geviert oder jedes aus vielen Gevierten bestehende Viereck war für verschiedene Warenarten bestimmt. Da war der Bereich der Gold-und Silberschmiede, ein eigener Bereich für die Federarbeiter, für die Verkäufer von Gemüse und Lebensmitteln, Fleisch und lebenden Tieren, für Tuch-und Lederwaren, für Sklaven und Hunde, irdenes Geschirr und Kupfergetriebenes, Medizin und Schönheitsmittel, für Seilerwaren, Bindegarn und gesponnene Fäden, rauhstimmige Vögel und kreischende Affen und andere Schoßtiere. Ich weiß, dieser Markt ist wiederaufgebaut worden und ihr habt ihn zweifellos gesehen. Obgleich mein Vater und ich bereits zu früher Morgenstunde dort erschienen, wimmelte es bereits von Kauflustigen. Die meisten waren Macehuáltin wie wir, aber es waren auch Damen und Herren dort, die herrisch auf bestimmte Waren zeigten, die sie haben wollten, und die das Gefeilsche um den Preis ihren Dienstboten überließen, die sie begleiteten.
    Wir hatten Glück, so früh dorthin zu kommen, oder zumindest ich hatte Glück, denn es gab einen Verkaufsstand auf dem Markt, an dem etwas so Leichtvergängliches feilgeboten wurde, daß es schon vor der Mittagsstunde verdorben sein würde – die köstlichste aller Leckereien, die ringsum zum Verkauf standen: Schnee. Dieser Schnee wurde durch sich ablösende Schnellboten, welche die Kühle der Nacht nutzten, die zehnmal Ein Langer Lauf vom Gipfel des Ixtacciuatl nach Tenochtítlan heruntergeschafft wo der Händler den kostbaren Schnee in dickwandigen irdenen Krügen unter dicken Lagen von Fasermatten bis zum Morgen kühl hielt. Eine Portion kostete zwanzig Kakaobohnen. Das war ein ganzer Tageslohn für den Durchschnittsarbeiter der Mexíca. Für vierhundert Bohnen bekam man schon einen annehmbaren, kräftigen Sklaven, der seinem Herrn ein ganzes Leben lang diente. Schnee war also seinem Gewicht nach teurer als alles andere auf dem Tlaltelolco-Markt, das kostbarste edelsteinbesetzte Geschmeide auf den Ständen der Goldschmiede nicht ausgenommen. Nur wenige außer den Adligen konnten es sich leisten, von dieser erlesenen Erfrischung zu kosten. Trotzdem, so sagte der Schneeverkäufer, verkaufe er stets seinen ganzen Morgenvorrat, ehe er geschmolzen sei.
    Mein Vater brummte anerkennend vor sich hin. »Ich erinnere mich noch an die Schwere Zeit. Im Jahr Ein Kaninchen fiel sechs Tage hintereinander Schnee vom Himmel herab. Damals konnte nicht nur jeder sich soviel Schnee nehmen, wie er wollte, nein, der Schnee war eine schlimme Plage.« Doch selbstverständlich gab er meinem Drängen nach und sagte zu dem Verkäufer, dem das nicht gleichgültiger hätte sein können: »Nun, da der Junge seinen Namensgebungstag hat …«
    Er band seinen Schultersack auf und zählte die zwanzig Kakaobohnen ab. Der Händler untersuchte eine jede einzelne ganz genau, um sich zu vergewissern, daß es sich nicht um eine geschnitzte Fälschung aus Holz handelte, oder um eine ausgehöhlte und mit Erde gefüllte Bohne. Dann machte er einen seiner Krüge auf, kratzte einen Löffel voll der köstlichen Leckerei heraus, drückte sie in eine Tüte aus zusammengerolltem Blatt, ließ reichlich süßen Sirup darüberfließen und reichte es mir.
    Gierig biß ich hinein und hätte die Tüte um ein Haar fallen lassen, so überrascht war ich von der Kälte. Meine Zähne im Unterkiefer und meine Stirn schmerzten mich; trotzdem war es das köstlichste, was ich bis dahin in meinem jungen Leben gekostet hatte. Ich hielt die Tüte meinem Vater zum Probieren hin. Er fuhr einmal mit der Zunge darüber hin und genoß es offensichtlich genausosehr wie ich, gab jedoch vor, nicht mehr zu mögen. »Du mußt nicht hineinbeißen, Mixtli, sondern lecken«,

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