Der Azteke
sagte er. »Dann hast du länger was davon.«
Nachdem mein Vater erstanden, was meine Mutter sich gewünscht, und einen Träger damit zu unserem Boot geschickt hatte, wandten wir uns wieder nach Süden in Richtung Stadtmitte. Wiewohl viele der gewöhnlichen Häuser Tenochtítlans zwei-und sogar dreistöckig gebaut waren – und die meisten von ihnen noch höher ragten, da sie auf Pfeilern ruhten, um die Feuchtigkeit abzuhalten –, erhebt sich die Insel selbst an keiner Stelle mehr als in doppelter Mannshöhe über den Spiegel des Texcóco-Sees. Daher gab es damals fast genausoviele Kanäle wie Straßen, welche die Stadt nach allen Richtungen hin durchkreuzten. An manchen Stellen liefen Kanäle und Straßen unmittelbar nebeneinander her; Fußgänger unterhielten sich dabei mit Bootsfahrern. An manchen Stellen konnten wir ganze Menschenströme sehen, die geschäftig hin und her eilten; an anderen sahen wir Kanus vorüber gleiten. Manche davon konnte man mieten, um Leute, die es besonders eilig hatten, schneller von einem Punkt der Stadt zum anderen zu bringen, als sie es zu Fuß hätten schaffen können. Wieder andere waren Privat-Acáltin der Adligen, und diese waren schön bemalt und verziert und in der Mitte von Baldachinen überragt um die Herren und Damen vor der Sonne zu schützen. Die Straßen bestanden aus hartgestampftem, eingeebnetem Ton, die Ufer der Kanäle aus Mauerwerk. An vielen Stellen, wo das Wasser der Kanäle fast die Höhe der Straßen erreichte, ließen sich die Fußgängerbrücken beiseitedrehen, um die Boote hindurchzulassen.
Genauso, wie das Netz von Kanälen den Texcóco-See praktisch mit in die Stadt einbezog, sorgten die drei Dammstraßen dafür, die Stadt an das Festland anzubinden. Wo diese Straßen die Insel verließen, wurden sie zu breiten Straßen aus Stein, über welche man fünf verschiedene, auf dem Festland gelegene Städte im Norden, Westen und Süden erreichen konnte. Außerdem gab es noch eine weitere Verbindung, bei der es sich freilich nicht um eine Straße, sondern um ein Aquädukt handelte. Dieser barg eine Rinne aus gewölbten Ziegeln, tiefer und breiter, als ein Mann seine beiden Arme ausstrecken konnte, und diese Rinne führt noch heute Süßwasser von der im Südwesten auf dem Festland gelegenen Chapultépec-Quelle in die Stadt.
Da alle Straßen des Landes und alle Wasserstraßen der Seen hier in Tenochtítlan zusammenliefen, erlebten mein Vater und ich den ständigen Handelsaustausch innerhalb des ganzen Mexíca-Volkes und mit anderen Völkern. Überall ächzten Träger unter der Last, die sie mit Hilfe von Tragriemen, der ihnen über die Stirn ging, auf dem Rücken trugen. Überall sah man hochbeladene Kanus aller Größen mit ihren Waren dem Markt von Tlatelólco zustreben oder von dort kommen, oder die Kanus mit den Tributlieferungen unterworfener Völker, die in die Paläste, das Schatzhaus oder die nationalen Lagerhäuser gebracht wurden.
Allein die bunten Körbe mit den Früchten vermittelten schon eine Vorstellung davon, wie ausgedehnt der Markt war. Da waren Guaven und Zimtäpfel aus dem Gebiet der Otomi im Norden, Ananas aus dem Land der Totonàca am Rand des Meeres im Osten, gelbe Papayas aus dem westlich gelegenen Michihuácan, rote Papayas von den weit im Süden lebenden Chiapàn und von den nicht ganz so weit südlich lebenden Tzapotéca die Tzapotin-Marmeladenpflaumen, die dem Gebiet den Namen gegeben haben.
Ebenfalls aus Tzapotéca-Land kamen die Säcke mit den getrockneten kleinen Insekten, aus denen man verschiedene rote Farbstoffe gewinnt. Aus dem nahen Xochimilco kamen Blumen und Pflanzen die Fülle – man hätte nicht für möglich gehalten, daß es überhaupt so viele verschiedene Arten gibt. Aus den fernen Dschungeln im Süden kamen Kisten mit bunten Vögeln oder ganze Ballen mit Vogelfedern. Aus den Heißen Ländern im Osten wie im Westen kamen Säcke mit Kakao zum Bereiten des Schokoladentranks und die schwarzen Orchideenschoten, die ihr vainilla nennt. Aus den südöstlichen Küstengebieten der Olméca kam jenes Erzeugnis, das dem Volk seinen Namen gegeben hat: oli. Streifen von dehnbarem Gummi, die – ineinander verflochten – jene harten Bälle ergaben, wie wir sie zu unserem Tlachtli-Spiel brauchten. Selbst unsere Rivalen, die Texcàla, Erbfeinde von uns Mexíca, schickten das kostbare Copáli, duftendes Harz, das zur Herstellung von Wohlgerüchen und Weihrauch dient.
Von überall her kamen Kisten und Körbe voller Mais, Bohnen und
Weitere Kostenlose Bücher