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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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wunderschönen Prinzessin oder daß er ein vornehmes Geschlecht gründet. Euer Sohn Mixtli wird die Wahrheit sehen, ja. Unglücklicherweise wird er aber auch die Wahrheit aussprechen, die er erkennt. Und das trägt häufig mehr Verleumdung und böse Nachrede ein als Belohnungen. Für die Vorhersage einer so zweifelhaften Gabe, mein Herr, verlange ich keinen Dank.«
    »Nehmt diese trotzdem«, sagte mein Vater und nötigte ihm eine einzelne Kakaobohne auf. »Sagt uns nur nicht noch mehr voraus, alter Mann.«
    Im eigentlichen Zentrum der Stadt herrschte nur wenig gewerbliches Treiben, doch alle Bürger, die nichts Dringendes vorhatten, fingen an, sich für die Zeremonie, von der mein Vater gehört hatte, auf dem großen Platz einzufinden. Er fragte einen Vorübergehenden, worum es sich überhaupt handele, woraufhin der Mann sagte: »Nun, selbstverständlich, um die Weihe des Sonnensteins und um die Eingliederung von Tlaltelólco zu feiern.« Die meisten der Versammelten waren schlichtes Volk wie wir, doch standen auch viele Pipiltin herum, genug, eine nicht gerade kleine Stadt ausschließlich mit Edelleuten zu bevölkern. Doch wie dem auch sei, mein Vater und ich hatten uns absichtlich zeitig eingefunden. Wiewohl bereits mehr Menschen auf dem Platz versammelt waren als ein Kaninchen Haare hat, füllten sie das Riesengeviert bei weitem noch nicht. Wir hatten Raum genug, um gemächlich umherspazieren und alles Sehenswerte betrachten zu können.
    Gleichwohl hatte der Platz für einen Jungen vom Lande wie mich etwas Ehrfurchtgebietendes. Mein Vater erzählte mir, er habe ihn einst auf einer geraden Linie abgeschritten, indem er Fuß vor Fuß gesetzt, und dabei habe er genau sechshundert seiner Füße gezählt. Dieser ganze gewaltige Raum – rund sechshundert Männerfüße von Norden nach Süden und von Ost nach West – war mit Marmor gepflastert, der noch weißer war als selbst der Kalkstein aus Xaltocan, war poliert, geglättet und blitzte wie ein Tezcatl-Spiegel. Viele Menschen waren an diesem Tag darauf versammelt, die, wenn sie Sandalen trugen, auf denen man leicht ausrutschte, diese ausziehen und barfuß gehen mußten.
    Die drei breitesten Prachtstraßen der Stadt – jede so breit, daß zwanzig Mann nebeneinander darauf entlangmarschieren konnten – nahmen ihren Ausgang von diesem Platz und führten nach Norden, Westen und Süden und gingen dann in voller Breite in die Dammstraßen über, die bis zum Festland hinüberführten. Der Platz selbst war damals noch nicht so voll von Tempeln, Altären und Denkmälern, wie das in späteren Jahren der Fall sein sollte. Gleichwohl standen bereits bescheidene Teocáltin, die Standbilder der Hauptgötter beherbergten. Es stand auch bereits das wunderbar geschmückte Gerüst, auf welchem die Schädel der erlauchteren Xochimique, die dem einen oder anderen unserer Götter geopfert worden waren, zur Schau gestellt wurden. Und da war noch unseres Verehrten Sprechers privater Ballplatz, auf dem besondere rituelle Tlachtli-Spiele ausgetragen wurden.
    Des weiteren stand dort das Haus des Liedes, das bequeme Wohn-und Übungsräume für die besten Musiker, Sänger und Tänzer barg, die bei religiösen Festlichkeiten auf dem Platz auftraten. Das Haus des Liedes ist nicht wie alle anderen Bauten auf dem Platz zusammen mit der ganzen Stadt vernichtet worden. Es wurde wiederaufgebaut, und bis die Kathedrale des Heiligen Francisco fertiggestellt sein wird, dient es als eures Herrn Bischof Diözesan-Kanzlei und Residenz. Ja, es ist so, daß wir in einem der Räume des Hauses des Liedes sitzen, meine Herren Schreiber.
    Mein Vater ging zurecht davon aus, daß ein Siebenjähriger kaum von religiösen und architektonischen Meisterwerken hingerissen sein würde, und so nahm er mich mit zu einem weitläufigen, an der Südostecke des Platzes gelegenen Gebäude. Darin war des Uey-Tlatoáni Sammlung wilder Tiere und Vögel untergebracht, doch die war damals längst noch nicht so groß, wie sie in späteren Jahren sein sollte. Den Anfang mit der Menagerie hatte der verstorbene Motecuzóma gemacht, dem es darum gegangen war, ein Beispiel jeder Art von Land- und Lufttieren auszustellen, die in den verschiedenen Teilen dieses Landes lebten. Das Gebäude war in zahllose Räume unterteilt – manche nur kleine Zellen, einige fast schon Säle –, und Rinnen, die von einem nahegelegenen Kanal herführten, sorgten mit Hilfe des ständig darin fließenden Wassers dafür, daß aller anfallende Unrat und Kot

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