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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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nicht alle waren gleichermaßen davon begeistert, und einer derjenigen, die zur Vorsicht rieten, war der Verehrte Sprecher Nezahualpíli von Texcóco. Ahuítzotl hatte ihn eingeladen, die neue Quelle und die Arbeiten am Aquädukt zu besichtigen, mit denen gerade der Anfang gemacht wurde. Ich habe nicht gehört, was sie bei dieser Gelegenheit gesprochen haben; vermutlich war ich daheim und spielte mit meiner kleinen Tochter. Gleichwohl vermag ich den Gang der Beratungen zwischen den beiden Verehrten Sprechern nach dem vielen zu rekonstruieren, was ich später von denen gehört habe, die dabei waren.
    Zunächst einmal warnte Nezahualpíli: »Mein Freund, Ihr und Eure Stadt könntet Euch vor die Entscheidung zwischen zuviel und zuwenig Wasser gestellt sehen«, und rief Ahuítzotl dann ein paar historische Tatsachen ins Gedächtnis.
    Diese Stadt ist heute und bereits seit vielen Schock Jahren eine von Wasser umringte Insel gewesen, doch das war nicht immer so. Als die frühesten Ahnen von uns Mexíca vom Festland herüberkamen, um sich hier für immer niederzulassen, kamen sie zu Fuß hierher. Zweifellos war es ein schlammiger und unbequemer Weg für sie, aber sie brauchten jedenfalls nicht zu schwimmen. Das ganze Gebiet zwischen der Insel und dem Festland im Westen, Norden und Süden war früher ein aus Schlamm und Wasserlachen bestehender, von Riedgras bewachsener Morast; die Insel stellte damals nur den einzigen festen und trockenen Landbuckel in dem weithin sich dehnenden Sumpf dar.
    Im Lauf der Jahre und während des Baus der Stadt legten diese frühen Siedler auch festere Zugangswege zum Festland an. Vielleicht waren ihre ersten Wege nichts weiter als niedrige Dämme festgestampfter Erde, nur um ein weniges höher als der Morast. Doch zuletzt trieben die Mexíca Doppelreihen von Baumstämmen in den Boden, füllten den Raum dazwischen mit Geröll und bauten auf diesem Grund eine steingepflasterte Straße mit Seitenbrüstungen – die drei Dämme, die es heute noch gibt. Diese Dämme verhinderten, daß das Oberflächenwasser in den dahintergelegenen See abfloß, doch die Folge davon war, daß der Wasserspiegel darin merklich stieg.
    Das alles bedeutete einen großen Fortschritt gegenüber den bisherigen Bedingungen. Das Wasser überdeckte den stinkenden Morast und das Riedgras, an dessen scharfen Rändern die Bauern sich die Waden aufgeschnitten hatten, und es verschwanden auch die Lachen stehenden Wassers, in denen unablässig neue Schwärme von Moskitos ausgebrütet wurden. Selbstverständlich hätte das Wasser – wäre es weiterhin ständig gestiegen – zuletzt auch die Insel überschwemmt und wäre in die Straßen von Tlácopan und anderer Städte auf dem Festland hereingeflossen. Doch die Dämme wiesen in bestimmten Abständen von hölzernen Brücken überspannte Abflüsse auf, und die Insel selbst war von vielen Kanälen durchzogen, auf welchen unsere Einbäume verkehren konnten. Diese Sammelrinnen gestatteten, daß auf der Ostseite der Insel genügend Wasser in den Texcóco-See hinein abfloß, so daß der Wasserspiegel der Lagune nur bis zu einem bestimmten Pegel stieg, aber nicht weiter.
    »Oder hat es zumindest bis jetzt noch nicht getan«, sagte Nezahualpíli zu Ahuítzotl. »Doch jetzt habt Ihr vor, neues Wasser vom Festland herüberzuleiten. Das muß doch irgendwohin.«
    »Es fließt in die Stadt und wird von der Bevölkerung verbraucht«, erklärte Ahuítzotl eigensinnig. »Zum Trinken, Baden, Waschen …«
    » Verbraucht wird immer nur sehr wenig Wasser«, sagte Nezahulapili. »Selbst wenn Eure Leute den ganzen Tag über trinken – sie müssen es schließlich auch wieder ausscheiden. Ich wiederhole: Das Wasser muß irgendwohin. Und wohin, wenn nicht in diesen eingedämmten Teil des Sees? Der Wasserpegel darin würde schneller steigen als das Wasser durch Eure Kanäle und die Durchbrüche in den Dämmen in den dahinterliegenden Texcóco-See abfließen.«
    Ahuítzotl lief rot an und fragte: »Wollt Ihr damit vorschlagen, wir sollten unseren neugefundenen Quell, dieses Geschenk der Götter, einfach ungenutzt lassen? Daß wir nichts unternehmen, um den Durst von Tenochtítlan zu stillen?«
    »Es könnte sich als klüger erweisen. Zumindest, schlage ich vor, solltet Ihr Euer Aquädukt dergestalt bauen, daß der Wasserfluß überwacht und gelenkt werden kann – und nötigenfalls abgestellt.«
    Aufknurrend erklärte Ahuítzotl: »Mit zunehmendem Alter, mein Freund, werdet Ihr immer mehr wie ein furchtsames

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