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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Wasser und Bruder Wild gesehen und mit ihnen gesprochen. Ganz ohne Zweifel war das Götterlicht auf sie gefallen, und das ist das oberste und einzige Erfordernis, um das Amt eines Si-ríame anzutreten.«
    Die stattliche Frau beendete ihren Gesang, lächelte abermals und hob in einer allgemeinen Segensgeste die wohlgeformten Arme, drehte sich dann um und kehrte zurück ins Haus, während die Menge ihr durch ihren Jubel ihre Liebe und Hochachtung bekundete.
    »Bleibt sie allein?« fragte ich Tes-disóra.
    »Während der Festlichkeiten, ja«, sagte er und gluckste. »Manchmal benehmen sich unsere Leute beim Tes-güinápuri daneben. Sie raufen miteinander, oder es kommt zum Ehebruch, oder sie stellen andere Dummheiten an. Die Si-ríame ist eine weise Frau. Was sie nicht sieht oder nicht hört, braucht sie nicht zu bestrafen.«
    Ich weiß nicht, ob es als Dummheit betrachtet worden wäre, was ich vorgehabt hatte: das köstlichste Beispiel des Rarámuri-Frauentums zu jagen, einzuholen und ihr beizuwohnen. Doch, wie die Dinge sich ergaben, brauchte ich das gar nicht zu tun – und weit entfernt davon, etwa bestraft zu werden, wurde ich in gewisser Weise sogar belohnt.
    Ich machte es wie alle Dorfbewohner, schlug mir den Bauch voll mit gebratenem Wild und Atóli-Maisbrei und trank eine Menge Tesgüino. Wiewohl ich kaum noch stehen konnte und viel zu betrunken war, um zu gehen, versuchte ich, beim Kugellauf der Männer mitzumachen, aber sie hätten mich allesamt weit hinter sich gelassen, selbst wenn ich im Vollbesitz meiner Kräfte gewesen wäre, um bei ihren Wettkämpfen mitzumachen. Ich hatte nichts dagegen, zog mich zurück und sah statt dessen einer Gruppe von Frauen zu, die im Lauf ihre Reifen mit dem Stecken vor sich hertrieben, wobei mir ein gewisses mannbares Mädchen unter ihnen ausnehmend gut gefiel. Dabei mußte ich ein Auge zukneifen, denn sonst sah ich dasselbe Mädchen doppelt. Schwankend ging ich auf sie zu, gab ihr durch unbeholfene Gesten und schwerzüngige Rede zu verstehen, sie möge doch die Gruppe verlassen und sich auf ein anderes Spiel mit mir einlassen. Lächelnd bekundete sie mir ihr Einverständnis, vermied es jedoch, meine Hand zu ergreifen. »Erst mußt du mich fangen«, sagte sie, drehte sich um und lief den Cañon hinunter.
    Wenn ich auch nicht erwartet hatte, mich unter den Rarámuri-Männern hervorzutun, war ich doch überzeugt, jede Frau der Welt im Laufen einzuholen. Doch bei dieser gelang mir das nicht, und ich glaube, sie verlangsamte ihren Lauf sogar, um es mir leichter zu machen. Vielleicht wäre es mir besser ergangen, hätte ich nicht dem Essen und Trinken – insbesondere dem Trinken – so reichlich zugesprochen. Außerdem fällt es schwer, mit einem Auge Entfernungen richtig abzuschätzen. Selbst wenn das Mädchen still vor mir gestanden hätte, würde ich sie vermutlich verfehlt haben, wenn ich versucht hätte, sie zu packen. Da ich jedoch beide Augen aufmachte, sah ich alles vor mir auf dem Pfad doppelt – Wurzeln und Steine und dergleichen – und jedesmal, wenn ich versuchte, zwischen den beiden Dingen hindurchzulaufen, stolperte ich unweigerlich darüber. Nachdem ich etwa neun- oder zehnmal gefallen war, versuchte ich das nächste Hindernis, einen ziemlich großen Felsbrocken, im Sprung zu nehmen, landete aber auf dem Bauch und zwar so heftig, daß mir aller Atem aus der Brust gepreßt wurde.
    Das Mädchen hatte mir über die Schulter hinweg zugesehen, und tat so, als fliehe sie vor mir. Als ich stürzte, blieb sie stehen, kam zurück und stand über mir, der ich verkrampft am Boden lag, und sagte mit einiger Erbitterung: »Wenn du mich nicht richtig fängst, können wir keine anderen Spiele spielen. Falls du verstehst, was ich meine.«
    Ich vermochte nicht einmal, sie anzuschauen. Mit krampfhaft angezogenen Beinen lag ich da, versuchte unter Mühen erst einmal wieder zu Atem zu kommen und fühlte mich außerstande, irgendwelche anderen Spiele mit ihr zu spielen. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. Offensichtlich teilte sie meine geringe Meinung über mich selbst. Doch dann hellte sich plötzlich ihr Gesicht auf, und sie sagte:
    »Ich habe nicht daran gedacht, dich zu fragen. Hast du Jipuri gekaut?«
    Matt schüttelte ich den Kopf.
    »Das erklärt alles. Du bist den anderen Männern nicht so unterlegen. Sie haben den Vorteil, sich durch ständige Übung Kraftreserven zugelegt zu haben. Komm! Du solltest etwas Jipuri kauen!«
    Ich lag zwar immer noch verkrümmt da, doch fing ich

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