Der Azteke
nutzten beides, uns an dem zarten gebratenen Fleisch gütlich zu tun.
Guagüey-bo lag in einem anderen der aufsehenerregend weiten Cañons dieses Landes und war ein Dorf in dem Sinne, daß zwar einige zwanzig Familien hier lebten – alles in allem vielleicht dreihundert Personen –, aber eigentlich nur ein sichtbares »Wohnhaus« vorhanden war, ein kleines, sauber gebautes Holzhaus, in welchem der Si-ríame lebte. Dieses Wort bedeutet Häuptling, Zauberer, Arzt und Richter, doch bezeichnete man nicht vier verschiedene Personen damit. Das Haus des Si-ríame und etliche andere Bauten – manche davon kuppelförmige Schwitzbäder, etliche Lagerhütten mit offenen Seitenwänden und eine aus Schieferplatten bestehende Plattform für irgendwelche gemeinsame Feiern – standen unten auf der Sohle des Cañons am Ufer des Weißwasserflusses, welcher hindurchfloß. Der Rest der Bewohner von Guagüey-bo lebte in entweder natürlichen oder künstlich geschaffenen Felshöhlen in den gewaltigen Steilwänden der Schlucht.
Daß sie Höhlen bewohnen, bedeutet noch lange nicht, daß die Rarámuri primitive oder träge Menschen wären, sondern nur, daß sie praktisch veranlagt sind. Würden sie es sich gewünscht haben, sie hätten alle genau so schöne Häuser haben können wie das des Si-ríame. Doch die Höhlen waren nun einmal da oder leicht auszuhöhlen, und die Bewohner richten sie ausgesprochen behaglich ein. Jede Höhlenwohnung ist durch Felswände im Inneren in verschiedene Räume unterteilt, und jeder Raum weist eine Öffnung nach außen auf, um Licht und Luft hereinzulassen. Der Boden ist bedeckt mit einer Schicht würzig duftender Kiefernadeln, welche hinausgekehrt und alle paar Tage erneuert wird. Vor den nach außen führenden Öffnungen hängen Vorhänge und an den Wänden Hirschfelle mit lebhaften Malereien darauf. Die Höhlenwohnungen sind eigentlich behaglicher, bequemer und zweckdienlicher als viele Stadthäuser, die ich betreten habe.
Tes-disóra und ich erreichten das Dorf mit einer schwer beladenen Stange zwischen uns und beeilten uns, möglichst rasch vorwärtszukommen. So unglaublich es klingt, aber mein Gefährte hatte in den frühen Morgenstunden dieses Tages einen Rehbock und eine Hindin sowie einen großen Wildeber eingeholt und getötet. Wir hatten die Tiere ausgeweidet und zerteilt und uns dann beeilt, das Fleisch nach Guagüey-bo zu bringen, solange es noch einigermaßen kühl war. Das Dorf hatte durch die Jäger und Sammler reichliche Vorräte angelegt, weil, wie Tes-disóra mir auseinandersetzte, ein Tes-güinápuri-Fest beginnen sollte. Insgeheim beglückwünschte ich mich dazu, gerade in einem Augenblick auf die Ra-rámuri gestoßen zu sein, wo sie sich besonders gastfreundlich zeigten. Später merkte ich jedoch, daß es schon ein unglücklicher Zufall hätte sein müssen, wenn ich irgendwelche Rarámuri gefunden haben würde, die nicht gerade irgendein Fest entweder feierten, vorbereiteten oder sich davon erholten. Ihre religiösen Feiern haben nichts Düsteres, sondern sind eher fröhlich – das Wort Tes-güinápuri läßt sich dolmetschen mit »Wir wollen uns jetzt betrinken« – und alles in allem umfassen diese Festlichkeiten gut und gern ein Drittel des gesamten Jahres der Rarámuri.
Da ihre Wälder und Flüsse sie so reichlich mit Wild und anderen eßbaren Dingen, mit Fellen, Brennholz und Wasser beliefern, brauchen die Rarámuri nicht, wie die meisten Menschen, nur zu arbeiten, um nur das Lebensnotwendige zu sichern. Die einzige Pflanze, welche sie anbauen, ist der Mais, doch auch davon dient der größte Teil nicht als Nahrung, sondern für die Herstellung von Tesgüino, ein vergorenes Getränk, etwas leichter trunken machend als das Octli von uns Mexíca und etwas weniger stark als der Chápari-Honigschnaps der Purémpecha. Aus den tiefer gelegenen Landen östlich der Berge holen die Rarámuri auch einen kaubaren und stark wirkenden kleinen Kaktus, den sie Jipuri nennen – Das Götterlicht – und zwar aus Gründen, die ich später näher erklären werde. Da sie also nicht viel arbeiten müssen und über viel freie Zeit verfügen, haben diese Menschen guten Grund, sich ein Drittel des Jahres unbeschwert an Tesgüino zu berauschen, beseligend mit Jipuri zu betäuben und den Göttern freudig für die Fülle zu danken, welche sie ihnen zuteil werden lassen.
Unterwegs hatte ich von Tes-disóra ein paar Brocken seiner Sprache gelernt, und so konnten er und ich jetzt müheloser
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