Der Azteke
deine Neugier als gebeichtete Sünde an. Und jetzt, rasch, kau den Jipuri.«
Sie holte einen Korb voll der kleinen Kakteen, und zwar frische und grüne, keine getrockneten. Ich wählte einen, welcher zahlreiche kleine Wülste am Rand aufwies.
»Nein, nimm diesen fünfgeteilten«, sagte sie. »Der mit den vielen Auswüchsen ist für den täglichen Bedarf und soll von Läufern gekaut werden, die einen langen Lauf vor sich haben, oder von Leuten, welche nur müßig dasitzen und sich in Visionen ergehen möchten. Doch der fünfgeteilte Jipuri – der selten und schwer zu finden ist – bringt einen dem Götterlicht am nächsten.«
Folglich biß ich von dem Kaktus ab, den sie mir reichte – er hatte einen leicht bitteren Geschmack, so daß sich der Mund zusammenzog. Dann wählte sie einen anderen für sich selbst, wobei sie sagte: »Kau deinen nicht so schnell wie ich meinen, Ma-tuane Su-kuru. Du wirst die Wirkung rascher spüren, weil es für dich das erstemal ist, und wir sollten Schritt miteinander halten.«
Sie hatte recht. Ich hatte erst ein wenig von dem Saft heruntergeschluckt, da bemerkte ich voller Verwunderung, wie die Wände des Hauses um mich herum sich auflösten. Erst wurden sie durchsichtig, dann waren sie unversehens ganz verschwunden, und ich sah all die Dörfler draußen mit ihren verschiedenen Spielen und dem Tes-Güinápuri-Trinken beschäftigt. Ich konnte es einfach nicht fassen, daß ich tatsächlich durch die Wände hindurchsah, denn die Gestalten der anderen Menschen waren deutlich umrissen, obwohl ich noch nicht einmal meinen Topas benutzte; diese allzu klare Schau mußte ein Trugbild sein, welches durch den Jipuri erzeugt wurde. Doch im nächsten Augenblick war ich mir nicht mehr ganz so sicher. Ich fühlte mich emporgehoben und schien zu schweben, durchs Dach hindurch – oder vielmehr durch die Stelle, wo das Dach gewesen war –, und die Menschen blieben unter mir zurück und wurden immer kleiner, als ich zu den Baumkronen hinauf entschwebte. Unwillkürlich rief ich: »Ayya!« Die Si-ríame irgendwo hinter oder unter mir rief: »Nicht so schnell! Warte auf mich!«
Ich sagte, sie rief, doch habe ich sie eigentlich gar nicht gehört. Womit ich sagen will, daß ihre Worte nicht durch die Ohren in mich drangen, sondern irgendwie durch meinen Mund, und daß ich sie schmeckte – köstlich, wie Schokolade – und doch dergestalt, daß ich aufgrund ihres Geschmacks wußte, was sie bedeuteten. In der Tat, alle meine Sinne schienen plötzlich ihre üblichen Funktionen zu tauschen. Ich hörte den Duft der Bäume und des Rauches, welcher sich von den Feuerstellen zwischen den Bäumen in die Höhe kräuselte, als ich dahinschwebte. Statt den Laubgeruch zu verströmen, gaben die Blätter ein metallisches Geräusch von sich: Der Rauch verursachte einen gedämpften Laut wie ein Trommelfell, welches nur ganz sachte bearbeitet wird. Ich sah die Farben nicht, sondern ich roch sie. Das Grün der Bäume bot sich meinen Augen nicht als Farbe dar, sondern meiner Nase als kühler, feuchter Duft; eine rote Blüte an einem Zweig war nicht rot, sondern ein würziger Geruch; der Himmel war nicht blau, sondern ein sauberer, fleischlicher Geruch wie der, welcher von den Brüsten einer Frau ausgeht.
Dann ging mir auf, daß ich mit dem Kopf wirklich zwischen den Brüsten einer Frau lag, und zwar auf herrlich strotzenden. Tastsinn und Gefühl waren von der Droge nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die Si-ríame hatte mich eingeholt, hatte ihr Jaguargewand aufgerissen und mich an ihren Busen gezogen, und so stiegen wir jetzt gemeinsam zu den Wolken hinauf. Ein Teil von mir, möchte ich sagen, stieg rascher als die anderen. War mein Tepúli schon vorher aufgestanden, wurde er jetzt womöglich noch länger, dicker und härter und pochte vor Ungeduld, als ob es, ohne daß ich davon gemerkt hätte, zu einem Erdbeben gekommen wäre. Die Si-ríame stieß ein glückliches Lachen aus – ich kostete ihr Lachen, welches so erfrischend war wie Regentropfen, und ihre Worte schmeckten wie Küsse:
»Das ist die herrlichste Gnade, welche das Götterlicht spendet, Su-kurú – die Hitze und die Glut, die es dem Akt des Ma-rakame verleiht. Laß uns unsere göttergegebenen Feuer zusammentun.«
Sie löste ihren Rock aus Jaguarfell und legte sich nackt darauf, oder zumindest so nackt, wie eine Rarámuri-Frau überhaupt sein kann, denn ihr sproß in der Tat zwischen den Schenkeln und unterhalb ihres Nabels ein buschiges Dreieck. Ich
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