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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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allmählich wieder an zu atmen, und ihr gebieterischer Ton gestattete keine Widerrede. Sie reichte mir die Hand, und ich ließ mich hochziehen und zur Dorfmitte zurückführen. Ich wußte bereits, was Jipuri ist und was es bewirkt, denn in kleinen Mengen gelangte dieser Kaktus auch nach Tenochtítlan, wo man ihn Peyotl nannte und wo er allerdings ausschließlich den weissagenden Seher-Priestern vorbehalten blieb. Der Jipuri oder Peyotl ist ein täuschend unscheinbar aussehender kleiner Kaktus, welcher rund und flach am Boden wächst und selten größer wird als ein Handteller; außerdem ist er in Blütenblätter oder Wülste aufgeteilt, so daß er einem sehr kleinen, graugrünen Kürbis ähnelt. Um seine ganze Wirkung zu erfahren, kaut man ihn am besten frisch gepflückt. Er läßt sich jedoch auch trocknen und unendlich lange aufbewahren; die verschrumpelten braunen Gewächse werden auf Schnüre gezogen, und im Dorf Guagüey-bo hingen viele solcher Schnüre von den Sparren der Vorratshäuser herunter. Ich streckte die Hand aus, um einen abzubrechen, doch meine Gefährtin sagte: »Warte! Hast du jemals Jipuri gekaut?«
    Abermals schüttelte ich den Kopf. »Dann wirst du ein Ma-tuane sein, einer, der das Götterlicht zum erstenmal sucht. Dazu bedarf es einer Reinigungszeremonie. Nein, stöhne nicht so! Deshalb brauchen wir unser … unser Spiel nicht lange aufzuschieben.« Sie sah sich unter den immer noch essenden und trinkenden oder laufenden Dörflern um. »Alle anderen sind offenbar zu beschäftigt als daß sie teilnehmen könnten; aber die Si-ríame hat nichts zu tun. Sie ist bestimmt bereit, die Reinigung vorzunehmen.«
    Wir gingen zu dem bescheidenen Holzhaus hinüber, und das Mädchen zog an einem Strick mit Schneckenschalen daran neben der Tür. Die Häuptlingin, immer noch in ihrem Jaguargewand, hob den hirschledernen Vorhang und sagte: »Kuira-ba«, und forderte uns mit einer anmutigen Geste auf einzutreten.
    »Si-ríame«, sagte meine Gefährtin, »dies hier ist der Chichimécame Mixtli, der gekommen ist, unser Dorf zu besuchen. Wie du siehst, ist er nicht mehr ganz jung, aber selbst wenn man seine fortgeschrittenen Jahre bedenkt, ist er ein erbärmlich schlechter Läufer. Er konnte nicht einmal mich einholen und fangen, als er es versuchte. Ich dachte, Jipuri könnte ihm helfen, seine alten Glieder wieder lebendig zu machen, doch er sagt, er habe noch nie zuvor das Götterlicht gesucht, und daher …«
    Die Augen der Häuptlingin zwinkerten lustig, als ich mich unter den wenig schmeichelhaften Worten innerlich wand. Ich murmelte: »Ich bin kein Chichimécame«, doch sie hörte nicht aut mich und sagte zu dem Mädchen:
    »Selbstverständlich. Dir geht es darum, daß er die Ma-tuane-Einweihung so schnell wie möglich hinter sich bringt. Ich werde das mit Vergnügen machen.« Sie musterte mich anerkennend von Kopf bis Fuß, und die Belustigung in ihren Augen wich etwas anderem. »Ungeachtet seines Alters scheint dieser Mixtli ein Prachtexemplar seiner Art zu sein, selbst, wenn man seine niedrige Herkunft berücksichtigt. Ich möchte dir daher einen guten Rat geben, meine Liebe, welchen du von unseren Männern nie zu hören bekommen wirst. Mag man auch zurecht von dir erwarten, daß du das Können eines Mannes beim Laufen bewunderst – es ist gleichsam sein mittleres Bein, welches besser Auskunft darüber gibt, wie männlich er ist. Dieses Glied kann aufgrund von Entwöhnung sogar schrumpfen, wenn ein Mann all sein Trachten darauf richtet, die Muskeln seiner anderen Glieder zu entwickeln. Hüte dich daher, einen mittelmäßigen Läufer vorschnell gering zu schätzen, solange du nicht seine anderen Attribute untersucht hast.«
    »Ja, Si-ríame«, sagte das Mädchen ungeduldig. »Das hatte ich eigentlich auch vor.«
    »Das kannst du nach der Zeremonie tun. Du kannst jetzt gehen, meine Liebe.«
    »Gehen?« begehrte das Mädchen auf. »Es ist doch aber nichts Geheimnisvolles an einer Ma-tuane-Einweihung! Das ganze Dorf sieht zu.«
    »Wir wollen das Tes-Güinápuri-Fest nicht unterbrechen. Und dieser Mixtli kennt unsere Sitten nicht. Es könnte ihn in Verlegenheit bringen, wenn eine Horde Zuschauer ihn anstarrt.«
    »Ich bin keine Horde. Und ich bin es, die ihn zur Reinigung hergebracht hat.«
    »Du bekommst ihn ja zurück, sobald es getan ist. Dann kannst du selbst urteilen, ob deine Mühe sich gelohnt hat. Ich habe gesagt, du kannst jetzt gehen, meine Liebe.« Das Mädchen warf uns beiden einen wütenden Blick

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