Der Azteke
Guacho-chi erwiderte meine gutmütighöhnischen Rufe und schrie: »Altes Weib!« und »Wärmt sich die alten Knochen!« und dergleichen, wobei mir aufging, daß ich dadurch, daß ich mir ein Feuer entzündet hatte, nach Rarámuri-Einschätzung etwas ziemlich Unmännliches getan hatte. Doch nun war es zu spät, es zu löschen, sie rauschten an mir vorüber und wurden abermals zu hüpfenden und schwankenden Lichtern, die in nordwestlicher Richtung entschwanden.
Nach langem weiterem Wachen wurde der Himmel im Osten hell, zuletzt tauchte Großvater Feuer auf, und es verging noch eine lange Spanne Zeit, in welcher er – langsam wie nur je ein betagter menschlicher Großvater – ein Drittel seines Weges am Himmel zurücklegte. Es war Frühstückszeit, und meinen Berechnungen nach mußten jetzt die Männer aus Guacho-chi auf ihrem Rückweg wieder an mir vorüberkommen. Ich wandte den Blick nach Nordwesten, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Da bei Tageslicht die Fackeln ihr Näherkommen nicht verkünden würden, spitzte ich die Ohren, um sie zu hören, ehe sie in Sicht kamen. Aber ich hörte nichts und ich sah nichts.
Noch mehr Zeit verging. In Gedanken ging ich meine Berechnung noch einmal durch, um herauszufinden, wo ich mich verrechnet hatte, vermochte jedoch keinen Fehler zu entdecken. Noch mehr Zeit verging. Ich zerbrach mir den Kopf, um mich zu erinnern, ob Tes-disóra nicht doch etwas davon gesagt hatte, daß die Läufer auf dem Rückweg einer anderen Route folgten. Noch mehr Zeit verging, und die Sonne stand fast senkrecht über mir, als ich einen Gruß vernahm!
»Kuira-ba!«
Es war ein Rarámuri, welcher nur das Schamtuch der Läufer und Hüfttaschen und gelbe Zeichnung auf der nackten Haut trug, doch konnte ich mich nicht entsinnen, ihn jemals gesehen zu haben; so hielt ich ihn für einen der Schnelläufer von den Leuten aus Guacho-chi. Er hingegen hielt mich offensichtlich für ein Gegenstück aus Guagüey-bo, denn freundlich, doch nicht ängstlich lächelnd sagte er:
»Ich habe dein Feuer gestern abend gesehen, deshalb habe ich meinen Posten verlassen und bin hierhergekommen. Im Vertrauen, Freund, sag mir, was eure Leute angestellt haben, um unsere Läufer in eurem Dorf zurückzuhalten? Haben eure Frauen sie splitterfasernackt und mit willfährig gespreizten Beinen erwartet?«
»Eine höchst angenehme Vorstellung«, sagte ich. »Doch das haben sie, soweit ich weiß, nicht. Ich habe mich schon selbst gefragt, ob eure Männer nicht vielleicht doch auf einer anderen Route zurückgelaufen sind?«
Er wollte schon sagen: »Das wäre das allererste Mal …«, doch da wurde er unterbrochen. Beide vernahmen wir ein weiteres »Kuira-ba!«, drehten uns um und sahen Tes-disóra und seine fünf Mitläufer näherkommen. Sie waren nahe am Zusammenbrechen und wankten vor Müdigkeit, und die Kugel, welche sie einander mechanisch zuspielten, war nur mehr so groß wie meine Faust.
»Wir …«, sagte Tes-disóra zu dem Mann aus Guacho-chi und mußte innehalten, um nach Luft zu schnappen. Dann keuchte er unter Schmerzen: »Wir sind bis jetzt … euren Läufern noch nicht begegnet. Mit was für einem Trick …«
Der Mann sagte: »Euer Schnelläufer hier und ich haben uns gerade gefragt, was aus ihnen geworden sein mag.«
Tes-disóras Brust hob und senkte sich, als er uns anstarrte. Mit ungläubiger Stimme sagte ein anderer keuchend: »Sie sind … noch nicht … hier vorübergekommen?«
Als alle anderen Läufer aus Guagüey-bo herangezockelt kamen, sagte ich: »Ich habe den Fremden gerade gefragt ob sie vielleicht eine andere Route eingeschlagen haben könnten. Und er fragte mich, ob es euren Frauen durch irgend etwas gelungen sein könnte, sie in eurem Dorf festzuhalten.«
Es hob ein allgemeines Kopfschütteln an. Dann verlangsamte sich die Bewegung der Köpfe, und die Männer blickten einander bestürzt an.
Leise, mit sorgenvoller Stimme sagte einer: »Unser Dorf.«
Ein anderer, etwas lauter und wesentlich angstvoller, sagte: »Unsere Frauen.«
Und der Fremde sagte mit zitternder Stimme: »Unsere besten Männer.«
Dann malte sich plötzlich die ganze Erkenntnis auf ihren Gesichtern, Schock und Qual, und dasselbe sprach auch aus dem Gesicht des Mannes aus Guacho-chi. Aller Augen wandten sich traurig gen Nordwesten, und in dem kurzen, atemlosen Augenblick, ehe die Männer mich plötzlich verließen und angestrengter liefen als je zuvor, sagte jemand von ihnen nur das eine Wort:
»Yaki.«
Nein, ich folgte ihnen
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