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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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allerdings möchte wetten, daß er sich entweder daran erinnerte, wie ich erklärt hatte, ich hätte mir selber genausogut einen Namen geben können wie er, oder – was wahrscheinlicher ist – daß er ein alter Betrüger war, der die Tonàlmatl genausowenig lesen konnte wie ich damals und jetzt Angst hatte, daß man ihm auf die Schliche kam.
    Dann, eines Abends, begegnete ich einem Fremden. Chimáli, Tlatli und ich sowie ein paar andere Jungen hatten den Nachmittag über gespielt, was hieß, daß Tzitzitlíni nicht dabei war. Weit von unserem Dorf entfernt hatten wir am Ufer ein leck geschlagenes und schon halb vermodertes Acáli gefunden und so selbstvergessen Bootsmänner gespielt, daß wir völlig überrascht wurden, als Tonatíu seine Rot-Himmel-Warnung von sich gab, was bedeutete, daß er im Begriff stand, sich zur Ruhe zu begeben. Unser Heimweg war weit, und Tonatíu begab sich schneller zur Ruhe als wir gehen konnten, weshalb die anderen Jungen sich in Trab setzten. Bei Tageslicht hätte ich mithalten können, doch die Dämmerung sowie mein schlechtes Sehvermögen zwangen mich, langsamer voranzugehen und mir sorgsam meinen Weg zu suchen. Wahrscheinlich haben die anderen mich nie vermißt; jedenfalls hatten sie mich bald hinter sich gelassen.
    Ich gelangte an eine Kreuzung, an der eine steinerne Bank stand. Zwar war ich hier schon längere Zeit nicht vorübergekommen, doch fiel mir jetzt ein, daß in die Bank etliche Symbole eingemeißelt waren, und sogleich war alles andere für mich vergessen. Ich vergaß, daß es fast schon zu dunkel für mich war, sie zu entziffern. Ich vergaß, zu welchem Zwecke die Bank dort aufgestellt worden war und vergaß alles Lauernde, das mich packen konnte, wenn die Nacht sich herabgesenkt hatte. Ich hörte in der Nähe sogar eine Eule schreien, achtete jedoch nicht auf diese Zeichen böser Vorbedeutung. Da war etwas, was ich lesen oder zu lesen versuchen konnte, und eine solche Gelegenheit konnte ich nicht vorübergehen lassen.
    Die Bank war lang genug, daß ein Mann sich darauf ausstrecken konnte, wenn es ihm nichts ausmachte, unbequem auf den Riffeln einer behauenen Steinbank zu liegen. Ich beugte mich über die Zeichen, starrte sie an und fuhr mit den Fingern ebenso über sie hin wie mit den Augen, ging von einem zum anderen und zum nächsten – und wäre um ein Haar einem Mann in den Schoß gefallen, der dort saß. Ich fuhr zurück, als hätte er mich versengt, und brachte stotternd eine Entschuldigung vor:
    »M-mixpantzinco. In Eurer erhabenen Gegenwart …«
    Verdrossen, aber immerhin höflich, gab er die übliche Antwort: »Xi-mopanólti. Wie es dir beliebt …«
    Dann starrten wir uns eine Weile an. Ich vermute, er sah nur einen ziemlich abgerissenen Jungen von einigen zwölf Jahren, der angestrengt die Augen zusammenkniff. Ich konnte ihn nicht in allen Einzelheiten erkennen, teils, weil es mittlerweile wirklich dunkel geworden war, teils aber auch deshalb, weil ich in meinem Schrecken zu weit vor ihm zurückgefahren war. Immerhin erkannte ich, daß er ein Fremder auf der Insel war, oder zumindest mir nicht bekannt, daß sein Umhang – wenn auch verschmutzt von der langen Reise – aus gutem Material bestand, daß seine Sandalen vom vielen Gehen zerschlissen waren und seine kupferfarbene Haut staubig vom langen Weg.
    »Wie heißt du, Junge?« fragte er mich schließlich.
    »Hm, ich werde Maulwurf genannt …«, begann ich.
    »Das kann ich mir vorstellen, aber das ist doch nicht dein richtiger Name.« Und noch ehe ich antworten konnte, stellte er mir eine weitere Frage. »Was hast du da eben eigentlich gemacht?«
    »Ich habe gelesen, Yanquicatzin.« Ich weiß wirklich nicht, was er an sich hatte, aber es brachte mich dazu, ihn als Herr Fremder anzureden. »Ich habe gelesen, was auf der Bank geschrieben steht.«
    »Wirklich?« sagte er in einem Ton, der gelinde Ungläubigkeit verriet. »Ich hätte nie gedacht, daß du ein gebildeter junger Adliger bist. Was steht hier denn geschrieben?«
    »Es heißt: Von den Bewohnern von Xaltócan – ein Ruheplatz für den Herrn Nacht Wind.«
    »Das hat dir irgend jemand gesagt.«
    »Nein, Yanquicatzin. Verzeiht, aber …« Ich trat näher heran, um mit dem Finger auf die Zeichen zeigen zu können. »Dieses entenschnäbelige Zeichen steht für Wind.«
    »Das ist kein Entenschnabel«, fuhr er mich an. »Das ist die Trompete, durch welche der Gott die Winde hindurchbläst.«
    »Ach so? Danke, daß Ihr mir das sagt, mein Herr. Aber auf

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