Der Azteke
von unserem Dach herunter sah, waren die wenigen flackernden Flammen, die vor den Tempeln brannten, sowie ein rosiger Schimmer unter dem Rauch, welcher über dem Popocatépetl stand. Die Vögel hörten auf, hin- und herzuschießen, und nur ein scharlachköpfiger Fliegenschnäpper fuhr zwischen mir und Béu hernieder und flüchtete sich in einen der Büsche unseres Dachgartens, barg den Kopf unter seinen Flügeln und schlief offenbar ein.
Während dieser langen Augenblicke, da der Tag Nacht war, wünschte ich fast, ich könnte meinen eigenen Kopf irgendwo verstecken. Von den anderen Häusern in der Straße hörte ich Schreie, Gestöhn und Gebete. Doch Béu und Nochipa standen lautlos da, und nur Stern Sänger und Türkis wimmerten unterdrückt; offenbar ging von meiner unerschütterlichen Haltung eine beruhigende Wirkung aus.
Dann zeigte sich wieder eine schmale Sichel am Himmel und wurde langsam breiter und heller. Der Bogen der sonnenverschlingenden Yqualóca zog sich widerstrebend zurück und entließ Tonatíu aus ihren Fängen. Die schmale Sichel wurde dicker und der weggebissene Teil kleiner, bis Tonatíu wieder eine Scheibe war und ganz und die Welt wieder im Tageslicht dalag. Der Vogel auf dem Zweig neben mir hob sein Köpfchen, blickte sich drollig verwirrt um und schwirrte davon. Meine Frauen und Diener wandten mir ihre bleichen Gesichter und ihr zitterndes Lächeln zu.
»Das ist alles«, erklärte ich herrisch. »Es ist vorüber.« Damit stiegen wir hinunter und nahmen unsere gewohnten Tätigkeiten wieder auf.
Ob zu recht oder zu unrecht, viele Menschen behaupteten hinterher, der Verehrte Sprecher habe mit Bedacht die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, diese Sonnenfinsternis sei kein böses Vorzeichen. Denn nur wenige Tage darauf wurde der ganze Bereich der Seen von einem Erdstoß heimgesucht. Zwar handelte es sich nur um ein leichtes Beben, verglichen mit dem, welches Zyanya und ich einst durchstanden hatten, und wenn mein Haus auch erzitterte, wie alle anderen auch, hielt es doch so unerschütterlich stand, wie es der Überflutung standgehalten hatte. So gering ich persönlich es auch achtete, gehörte dieses Beben doch zu den heftigsten, zu welchen es jemals in diesen Landstrichen gekommen war, und viele Häuser in Tenochtítlan, Tlácopan, Texcóco und den kleineren Gemeinden stürzten zusammen und begruben viele der Bewohner unter sich, daß sie starben. Ich glaube, insgesamt kamen etwa zweitausend Menschen um, und der Zorn der Überlebenden auf Motecuzóma machte sich so lautstark Luft, daß er die darin liegende Warnung nicht in den Wind schlagen konnte. Womit ich nicht sagen will, daß er irgendwelche Entschädigungen zahlte. Vielmehr forderte er alle Menschen auf, sich im Herzen Der Einen Welt zu versammeln und Zeuge zu werden, wie jener Sternkundige, welcher die Sonnenfinsternis vorhergesagt hatte, öffentlich erwürgt wurde.
Doch damit hatten die schlimmen Vorzeichen, falls es wirklich Zeichen mit böser Vorbedeutung waren, noch kein Ende. Einige, das sage ich mit Entschiedenheit, waren es jedenfalls nicht. So fielen zum Beispiel in diesem einen Jahr Zwei Rohr mehr Sterne vom Himmel als in allen Jahren zuvor zusammengenommen, in denen unsere Sternkundigen solche Ereignisse gezählt hatten. In all diesen achtzehn Monden kam jedesmal, wenn ein Stern herabfiel, jeder, der es sah, in den Palast oder schickte einen Boten dorthin, es zu melden. Motecuzóma selbst durchschaute die trügerische Zählung, welche auf diesem Umstand beruhte, nicht, und da sein Stolz ihm nicht gestattete, sich noch einem weiteren Vorwurf auszusetzen, seine Untertanen in die Irre geleitet zu haben, ließ er diese offenbare Flut von fallenden Sternen, als die Zählungen erschreckende Ausmaße annahmen, öffentlich bekanntmachen.
Dieses fruchtlose Spiel, gefallene Sterne zu zählen, hätte auch unaufhörlich so weitergehen können, wäre unser Volk im folgenden Jahr, Drei Messer, nicht durch eine ganz andere Art von bösen Vorzeichen abgelenkt worden, welche wiederum mit Motecuzóma in Verbindung gebracht wurden. Seiner unverheirateten Schwester Pápantzin, der Dame Früh Vogel, beliebte es, in dieser Zeit zu sterben. An ihrem Tod war nichts weiter Bemerkenswertes, nur daß sie ziemlich jung starb und, wie es hieß, von einer typischen und unauffälligen Frauenkrankheit dahingerafft wurde. Was so unheilverkündend daran schien, war der Umstand, daß zwei oder drei Tage nach ihrer Bestattung zahlreiche Bürger von
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