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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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mehr tun konnte als erraten, was es wohl darstellen solle. Dennoch mußte ich sagen: »Ich gestehe, meine Hohen Gebieter, daß dies hier mehr einem Haus ähnelt denn dem riesigen Fisch, für welchen ich es hielt.«
    »Oder dem Flügelfisch?« fragte Nezahualpíli.
    »Nein, Hoher Gebieter. Die Flügel des Fisches stehen seitwärts ab. Soweit ich erkenne, scheint dieses Ding hier die Flügel auf dem Rücken zu tragen. Oder auf dem Dach.«
    Er zeigte mit den Fingern darauf: »Und diese runden Punkte nebeneinander – zwischen den Flügeln oben und dem Dach unten. Wofür hältst du die?«
    Voller Unbehagen sagte ich: »Es ist nach dieser rohen Zeichnung unmöglich, ganz sicher zu sein, aber ich würde vermuten, daß diese Punkte die Köpfe von Menschen darstellen sollen.«
    Kläglich hob ich die Augen von dem Papier und blickte einem Verehrten Sprecher nach dem anderen gerade in die Augen. »Hohe Gebieter, ich nehme meine bisherige Deutung zurück. Als Entschuldigung kann ich nur vorbringen, daß ich höchst unvollständig unterrichtet worden war. Hätte ich damals dieses Bild gesehen, würde ich gesagt haben, daß die Maya zu Recht Angst hatten und uns anderen zu Recht eine Warnung haben zukommen lassen. Ich hätte gesagt, daß Uluümil Kutz von gewaltigen, bemannten und irgendwie mit Flügeln vorangetriebenen Acális besucht worden ist. Ich könnte weder sagen, welchem Volk die Männer angehören, noch woher sie kommen, nur daß sie Fremde und offensichtlich sehr tüchtig sind. Wenn sie derlei Kriegskanus zu bauen imstande sind, können sie auch Krieg führen – und zwar möglicherweise einen Krieg, schlimmer, als wir ihn jemals kennengelernt haben.«
    »Na, also!« erklärte Nezahualpíli voller Befriedigung. »Selbst auf die Gefahr hin, sich den Unwillen seines Verehrten Sprechers zuzuziehen, schreckt Mixtli nicht davor zurück, die Wahrheit zu sprechen, wie er sie sieht – das heißt, wenn er sie sieht. Meine eigenen Seher und Sager lasen dieselben schlimmen Anzeichen heraus, als sie die Mayazeichnung sahen.«
    »Wären diese Zeichen mit böser Vorbedeutung früher gedeutet worden«, murmelte Motecuzóma, »hätte ich mehr als zwei Jahre Zeit gehabt, die Küsten von Uluümil Kutz zu bemannen und zu befestigen.«
    »Aber wozu?« fragte Nezahualpíli. »Wenn es den Fremden gefällt, hier zuzuschlagen – warum dann die nutzlosen Maya nicht die Hauptlast tragen lassen? Wenn sie jedoch, wie es aussieht, vom unendlichen Meer aus angreifen können, gibt es endlose Küsten, an welchen sie landen könnten, im Osten oder Norden, im Süden oder Westen. Wollte man alle Krieger aller Völker aufbieten, es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, jede verwundbare Küste zu verteidigen. Ihr tätet besser daran, Eure Verteidigungsstellungen in einem dichteren Ring und näher der Heimat anzulegen.«
    »Ich?« fragte Motecuzóma. »Und was ist mit Euch?«
    »Ah, ich werde tot sein«, erklärte Nezahualpíli, gähnte und streckte sich genüßlich. »Das haben mir meine Seher fest versichert, und darüber bin ich froh, gibt es mir doch Grund, meine letzten Jahre in Frieden und Ruhe zu verbringen. Von jetzt an bis zu meinem Tode werde ich keinen Krieg mehr führen. Und auch mein Sohn Schwarz Blume nicht, wenn er mir auf den Thron nachfolgt.«
    Voller Unbehagen stand ich vor ihrem Podest, doch offenbar sahen sie mich schon gar nicht mehr oder hatten mich vergessen; ich erhielt kein Zeichen, daß ich entlassen sei.
    Motecuzóma starrte Nezahualpíli an, und sein Gesicht lief dunkel an. »Ihr nehmt Texcóco und die Alcólhua aus dem Dreibund heraus? Herr Freund, ich möchte nur höchst ungern von Verrat und Feigheit sprechen.«
    »Dann tut es auch nicht«, versetzte Nezahualpíli bissig. »Ich will damit nur sagen, daß wir unsere Kriegskraft für die vorhergesagte Landung bewahren werden – ja, bewahren müssen. Und wenn ich sage, wir, meine ich damit alle Völker in diesen Landen. Wir dürfen unsere Krieger und unsere Mittel nicht mehr verschwenden, indem wir uns gegenseitig bekämpfen. Alle Fehden und Eifersüchteleien müssen ausgesetzt werden und alle unsere Kräfte und alle unsere Heere zusammengenommen, um den Eindringling wieder hinauszuwerfen. So sehe ich das, im Lichte der Zeichen mit böser Vorbedeutung und der Schlüsse, welche meine Weisen Männer daraus ziehen. Damit werde ich die mir noch verbleibenden Tage zubringen, und nach mir wird Schwarz Blume dasselbe tun – sich für einen Waffenstillstand und gegenseitiges

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