Der Azteke
Betrunkener.
Nachdem dieses aufregende Jahr geendet hatte, seine hohlen Tage vorüber waren und das nächstfolgende Jahr – Vier Haus – begann, traf unerwartet der Verehrte Sprecher Nezahualpíli von Texcóco ein. Wie es hieß, sei er einzig zu dem Zweck nach Tenochtítlan gekommen, um an unseren Feierlichkeiten zu Der Baum Wird Aufgerichtet teilzunehmen, da er die Art und Weise, wie dieses Fest in Texcóco begangen wurde, schon zu häufig erlebt habe. In Wahrheit kam er jedoch geheimer Beratungen mit Motecuzóma wegen. Doch hatten sich die beiden Herrscher nur einen kleinen Teil des Vormittags über hinter verschlossenen Türen beraten, als sie befahlen, daß noch ein dritter hinzugezogen werde. Zu meiner Überraschung war ich es, nach dem sie schickten.
Im vorgeschriebenen Sackkleid betrat ich den Thronsaal und gebärdete mich womöglich noch unterwürfiger, als im Protokoll vorgesehen, da an diesem Morgen ja zwei Verehrte Sprecher hier versammelt waren. Ich war einigermaßen erschrocken zu sehen, daß Nezahualpíli fast einen Kahlkopf bekommen hatte und dasjenige an Haar, was ihm noch verblieben war, ganz grau war. Erst als ich mich schließlich vor dem Podest mit den beiden Icpaltin-Thronstühlen darauf aufrichtete, die nebeneinander zwischen dem goldenen und dem silbernen Gong aufgestellt waren, erkannte der Uey-Tlatoáni von Texcóco mich. Geradezu hocherfreut sagte er:
»Mein ehemaliger Höfling Kopf Neiger! Mein einstiger Schreiber und Bildermacher Maulwurf! Mein einst so tapferer Krieger Dunkle Wolke!«
»Dunkle Wolke, wahrhaftig«, knurrte Motecuzóma. Das war das einzige Wort der Begrüßung, welches er an mich richtete; sonst bedachte er mich nur mit einem finsteren Blick. »Dann kennt Ihr diesen Elenden also, mein Herr Freund?«
»Ayyo, es hat Zeiten gegeben, da wir uns sehr nahegestanden haben«, erklärte Nezahualpíli und lächelte gutmütig. »Als Ihr von einem Adlerritter Mixtli spracht, brachte ich ihn nicht damit in Verbindung. Dabei hätte ich mir denken können, daß er von einer Ehre zur anderen aufsteigen würde.« Und zu mir gewandt, sagte er: »Ich begrüße dich und beglückwünsche dich, Ritter des Adlerordens.«
Ich hoffe, daß ich murmelnd die geziemende Antwort darauf vorgebracht habe. Für mich war ich nämlich froh darüber, den langen Sack zu tragen, denn meine Knie schlugen leicht zusammen.
Motecuzóma fragte Nezahualpíli: »Ist dieser Mixtli immer ein Lügner gewesen?«
»Ein Lügner? Mitnichten! Niemals, mein Herr Freund, darauf verpfände ich mein Wort. Mixtli hat immer die Wahrheit gesprochen, wie er sie sah. Unseligerweise hat seine Sicht der Dinge nicht immer im Einklang mit der anderer Leute gestanden.«
»Die eines Lügners aber auch nicht«, knurrte Motecuzóma mit zusammengebissenen Zähnen. Dann schrie er förmlich, als er zu mir sagte: »Du hast uns alle glauben machen, es stehe nichts zu befürchten von …«
Nezahualpíli fiel ihm in die Rede und sagte beschwichtigend: »Gestattet, mein Herr Freund. – Mixtli?«
»Ja, Verehrter Sprecher?« sagte ich heiser. In welchen Schwierigkeiten genau ich mich befand, wußte ich nicht, doch daß ich in Schwierigkeiten war, dessen war ich mir nur allzu bewußt.
»Es sind jetzt über zwei Jahre her, daß die Maya Schnellboten ausschickten in diese Lande, um von merkwürdigen Dingen zu künden, welche sie vor den Küsten der Uluümil Kutz genannten Halbinsel gesichtet hatten – schwimmende Häuser, wie sie sagten. Erinnerst du dich noch daran?«
»Lebhaft, Hoher Gebieter«, sagte ich. »So wie ich die Botschaft deutete, hatten sie einen gewissen Riesenfisch und einen gewissen Flügelfisch gesehen.«
»Ja, das war die beruhigende Erklärung, die euer Verehrter Sprecher Motecuzóma in allen Landen verbreiten ließ und die von allen Menschen geglaubt wurde – zu ihrer unendlichen Erleichterung.«
»Und zu meiner unendlichen Verlegenheit«, erklärte Motecuzóma verbissen.
Nezahualpíli machte eine beschwichtigende Handbewegung in seine Richtung und fuhr fort, zu mir zu sprechen. »Jetzt erst kommt es heraus, daß die Maya, welche diese Erscheinung sahen, Bilder davon malten, junger Mixtli, doch erst jetzt ist eines davon in meinen Besitz gelangt. Würdest du das Dargestellte immer noch einen Fisch nennen?«
Er reichte mir ein ziemlich mitgenommenes Stück Borkenpapier herab, welches ich mir genau betrachtete. Zu sehen war darauf eine typische Mayazeichnung, zu klein und im Stil zu verschnörkelt, als daß ich
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