Der Azteke
Sprecher von Texcóco sein Wort verpfändet hatte. Was die Bürger Tenochtitlans betraf, handelte es sich bei dem Spiel nur um eine weitere öffentliche Belustigung, welche ihnen geboten wurde, oder eine besondere Ehrung Tlalocs während der Feiern des Der-Baum-Wird-Aufgerichtet-Festes in der Stadt. Allerdings war es kein Geheimnis, daß Motecuzóma mindestens zwanzig Jahre jünger war als Nezahualpíli, wie auch daß Tlachtli ein hartes Spiel ist, das am besten von den Jungen, den Kräftigen und den Ausdauerndsten gespielt wird.
Das Tlachtli-Spielfeld war ringsum von Zuschauern umgeben, und selbst hinter der Umfassungsmauer Des Herzens Der Einen Welt standen die Menschen dicht an dicht, Adlige genauso wie Gemeinfreie, wiewohl nicht einer von hundert hoffen konnte, vom Spiel auch nur das geringste mitzubekommen. Doch wenn eine besondere Passage des Spiels die Zuschauer auf den Plätzen in ein bewunderndes »Ayyo« oder stöhnendes »Ayya« oder in ihr inständiges »Hoo - oo-ooo« ausbrechen ließ, nahmen alle Leute auf dem Platz und außerhalb der Mauer diese Laute auf und verstärkten den Freudenruf, den Klagelaut oder den Eulenschrei, ohne überhaupt zu wissen, warum.
Die stufengleich von den inneren Mauern des Spielfelds schräg ansteigenden Zuschauerränge waren dicht an dicht mit den ranghöchsten Edelleuten aus Tenochtítlan und aus Texcóco besetzt, welche Nezahualpíli begleitet hatten. Möglicherweise als Entschädigung oder auch als Bestechung dafür, ihr Geheimnis zu bewahren, hatten die beiden Verehrten Sprecher mir einen der kostbaren begehrten Sitze dort zugewiesen. Wiewohl Adlerritter, war ich doch der Rangniedrigste in dieser erlauchten Gesellschaft – bis auf Nochipa, welcher ich einfach dadurch einen Platz verschaffte, daß ich sie auf den Schoß nahm.
»Halt die Augen offen und präg dir alles gut ein, Tochter«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Was du jetzt zu sehen bekommst, hat es noch nie gegeben. Sperr die Augen auf und präg es dir ein, damit du es dein Leben lang nicht vergißt. Ein solches Schauspiel wirst du nie wieder zu sehen bekommen.«
»Aber Vater«, sagte sie, »der Spieler mit dem blauen Helm ist ja ein alter Mann.« Mit dem Kinn wies sie unauffällig auf Nezahualpíli, welcher im Mittelpunkt des Spielfelds stand, ein wenig entfernt von Motecuzóma und dem Hohenpriester Tlalocs, welchem die Leitung aller Feierlichkeiten in diesem Festmond oblagen.
Ich sagte: »Nun, der Spieler mit dem grünen Kopfputz ist ungefähr so alt wie ich, also ist er auch nicht gerade mehr ein Springinsfeld.«
»Das hört sich ja an, als ob du für den alten Mann wärest.«
»Ich hoffe, du läßt ihn hochleben, wenn ich es tu. Ich habe ein kleines Vermögen darauf gesetzt, daß er gewinnt.«
Nochipa drehte sich halb auf meinem Schoß herum und lehnte sich zurück, um mir in die Augen zu blicken. »Ach, du törichter Vater! Warum?«
Ich sagte: »Eigentlich weiß ich das gar nicht genau.« Und das stimmte. »Jetzt sitz aber still. Du bist auch so schon schwer genug.«
Wiewohl meine Tochter gerade erst zwölf geworden war, ihre erste Blutung bekommen hatte und infolgedessen die Kleidung einer erwachsenen Frau trug und auch die ersten hübschen weiblichen Schwellungen erkennen ließ, hatte sie – und dafür sagte ich den Göttern Dank! – die Größe ihres Vaters nicht geerbt, sonst hätte ich es wohl nicht ausgehalten, zwischen ihr und dem kalten Steinsitz eingeklemmt zu sitzen.
Der Tlaloc-Priester sprach passende Gebete, rief seinen Gott an und verbrannte Weihrauch – was das ganze schier unerträglich in die Länge zog –, ehe er den Ball hochwarf, um das erste Spiel für eröffnet zu erklären. Meine Herren Skribenten, ich werde gar nicht erst versuchen, jeden Wurf, jeden Lauf und jedes Aufprallen des Balls wiederzugeben, zumal ich weiß, daß ihr mit den verzwickten Regeln des Tlachtli-Spiels ohnehin nicht vertraut seid und daher auch die besonderen Feinheiten des Spiels nicht zu würdigen wüßtet. Der Priester verließ das Spielfeld trippelnd wie ein schwarzer Käfer, so daß nur Nezahualpíli und Motecuzóma zurückblieben – und die beiden Torhüter an den beiden Schmalseiten des Feldes, doch diese beiden Männer blieben reglos und unbemerkt stehen und rührten sich nur dann, wenn der Spielverlauf es erforderte, daß sie das eine oder andere Torjoch versetzten.
Diese Torjoche – bewegliche niedrige Bogen, durch welche die Spieler versuchen mußten, den Ball hindurchzubringen – waren
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