Der Azteke
jede Nacht immer an der gleichen Stelle am Nachthimmel aufgetaucht, aber nur immer größer und strahlender geworden. Viele von unseren Leuten wagen sich nachts nicht mehr auf die Straße, und selbst die mutigsten sorgen dafür, daß sie drinnen bleiben und nicht seinem unheilbringenden Licht ausgesetzt werden.«
Ich sagte: »Und so bringt der rauchende Stern den Hohen Gebieter dazu, mit den Göttern dieser heiligen Stadt in Verbindung zu treten?«
Aufseufzend sagte er: »Nein. Jedenfalls nicht ganz. Diese Erscheinung ist an sich schon beunruhigend genug, doch ich habe noch nicht von den noch unheilverkündenderen Zeichen der allerletzten Zeit gesprochen. Du weißt selbstverständlich, daß der Hauptgott dieser Stadt Teotihuácan die Gefiederte Schlange war, und daß man lange geglaubt hat, irgendwann würden er und seine Toltéca zurückkommen und wieder Anspruch auf dieses Land erheben.«
»Ich kenne die alten Geschichten, Verehrter Sprecher. Quetzalcóatl hat sich eine Art Zauberfloß gebaut, ist auf dem Ost-Meer verschwunden und hat gelobt, eines Tages wiederzukommen.«
»Und erinnerst du dich auch, Ritter Mixtli, daß vor drei Jahren du und ich und der Verehrte Sprecher Nezahualpíli von Texcóco über eine Zeichnung sprachen, welche aus dem Maya-Land gebracht worden war?«
»Jawohl, Hoher Gebieter«, sagte ich voller Unbehagen; es war mir keineswegs angenehm, daran erinnert zu werden. »Ein Haus von beträchtlicher Größe, welches auf dem Meer schwamm.«
»Auf dem Ost-Meer«, betonte er. »Auf der Zeichnung sah es so aus, als ob sich Menschen in dem schwimmenden Haus befänden. Du und Nezahualpíli nanntet sie Fremde.«
»Ich erinnere mich, Hoher Gebieter. Hatten wir unrecht, sie Fremde zu nennen? Wollt Ihr behaupten, die Zeichnung habe den zurückkehrenden Quetzalcóatl dargestellt? Der seine Toltéca zurückbrachte von den Toten?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er mit ungewohnter Bescheidenheit. »Nur sind mir gerade Meldungen zugegangen, daß wieder eines der schwimmenden Häuser vor der Maya-Küste aufgetaucht ist, und es ist auf dem Wasser umgefallen, wie ein Haus, welches bei einem Erdbeben umgeworfen wird. Zwei von den Bewohnern wurden an Land gespült. Sie waren fast tot. Wenn noch andere in dem Haus waren, müssen sie ertrunken sein. Aber diese beiden Überlebenden kamen nach einiger Zeit wieder zu sich und leben jetzt in einem Dorf namens Tihó. Dessen Häuptling Ah Tutál hat einen Schnellboten geschickt und läßt bei mir anfragen, was er mit ihnen anfangen soll. Er versichert nämlich, sie seien Götter, und er wisse nicht wie er Götter bewirten soll. Zumindest nicht lebendige Götter, welche man sehen und anfassen kann.«
Ich hatte mit wachsender Verwunderung zugehört. Und jetzt entfuhr es mir: »Nun und, Hoher Gebieter? Sind es Götter?«
»Ich weiß es nicht«, wiederholte er. »Die Meldung zeugt von der für die Maya typischen Beschränktheit. Alles klingt so krankhaft erregt, ist so unzusammenhängend, daß man nicht einmal erfährt, ob es Männer oder Frauen sind – oder ein Mann und eine Frau, wie das Erste Götterpaar. Aber die Beschreibung, wenn man sie überhaupt so nennen will, paßt auf keinen Mann und keine Frau, wie ich sie je kennengelernt hätte. Sie sollen von unmenschlich weißer Hautfarbe sein, schrecklich behaart im Gesicht und am Körper; und sie sprechen eine Sprache, welche selbst den Weisesten aller Weisen dort völlig unverständlich ist. Götter würden doch gewiß anders aussehen und anders sprechen als wir, oder nicht?«
Ich überlegte das und sagte schließlich: »Ich würde meinen, die Götter können jedes Aussehen annehmen, das sie wollen. Und jede menschliche Sprache sprechen, wenn sie sich wirklich verständlich machen wollten. Was mir schwer fällt zu glauben, ist, daß Götter mit ihrem Reisehaus kentern und halb ertrinken sollen wie ungeschickte Schiffer. Aber wozu habt Ihr geraten, Verehrter Sprecher?«
»Zunächst einmal, Stillschweigen zu bewahren, bis wir herausbekommen haben, um was für Wesen es sich handelt. Sodann, ihnen das Allerbeste an Essen und Trinken vorzusetzen, ihnen jede Bequemlichkeit zu bieten, und, falls sie wollen, auch Gefährten vom anderen Geschlecht anzubieten, so daß sie in Tihó zufrieden sind. Und drittens, was am allerwichtigsten ist, sie dort zu behalten, eingeschlossen, damit nicht mehr Augen sie zu sehen bekommen, als sie ohnehin schon gesehen haben, und ihr Vorhandensein so wenig wie möglich bekanntzumachen. Die
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