Der Azteke
Halt an einem in der Nähe stehenden Fackelpfahl.
»Záa!« rief sie, als sie mich festhielt. Ich hatte sie nicht herbeilaufen sehen. »Bist du verwundet? Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
»Bist du wirklich Zyanya?« gelang es mir mit leiser, versagender Stimme und durch den zugeschnürten Hals hindurch zu fragen. Die Straße hatte sich in meinen Augen verdunkelt, doch konnte ich die weiße Strähne im Haar immer noch schimmern sehen.
»Mein Lieber!« war alles, was sie antwortete. »Mein lieber … alter … Záa …« und drückte mich fest an ihren weichen, warmen Busen.
Daraufhin sagte ich, was mir in meinem verwirrten Geist vollkommen klar zu sein schien: »Dann bist du nicht hier! Ich bin dort!« Und lachte, so glücklich war ich darüber, tot zu sein. »Du hast die ganze Zeit über auf mich gewartet … an der äußersten Grenze des fernen Landes …«
»Nein, nein, du bist nicht tot«, gurrte sie. »Du bist nur völlig erschöpft. Und von mir war das gedankenlos. Ich hätte mit der Überraschung warten sollen.«
»Überraschung?« sagte ich. Mein Blick wurde wieder klar und gefaßt, und ich hob meine Augen von ihrer Brust zu ihrem Gesicht. Es war Zyanyas Gesicht, und es war von jener Schönheit, welche über die Schönheit der Frauen hinausgeht, aber es war nicht die Zyanya mit zwanzig, die ich im Herzen trug. Das Gesicht war so alt wie meines, und Tote altern nicht. Irgendwo war Zyanya immer noch jung, Cozcatl noch jünger, und der alte Blut Schwelger immer noch von geiler Alterslosigkeit, und meine Tochter Nochipa würde für immer ein Kind von zwölf Jahren bleiben. Einzig ich, Dunkle Wolke, war in dieser Welt zurückgeblieben und mußte das womöglich noch wolkendunklere Alter des Niemals ertragen.
Béu Ribé muß etwas Schreckliches in meinen Augen gesehen haben. Sie ließ mich los und trat vorsichtig einen Schritt zurück. Das wilde Pochen meines Herzens und die anderen Anzeichen des Schocks waren von mir gewichen; ich spürte nichts weiter als eine unendliche Kälte. Aufrecht stand ich da und sagte ingrimmig:
»Diesmal hast du absichtlich so getan als ob. Diesmal hast du es mit Bedacht getan!«
Langsam weiter vor mir zurückweichend, sagte sie mit zittriger Stimme: »Ich dachte … ich hatte gehofft, es würde dir Freude bereiten. Ich dachte, wenn deine Frau wieder so aussähe, wie du sie geliebt hast …« Als die Stimme ihr versagen wollte, räusperte sie sich und erklärte: »Záa, du weißt, der einzig erkennbare Unterschied war ihr Haar.«
Mit zusammengebissenen Zähnen zischte ich: »Der einzige Unterschied!« und nahm meinen leeren Wasserbeutel von der Schulter.
Verzweifelt fuhr Béu fort: »Als gestern abend der Bote kam und deine Rückkehr meldete, bereitete ich mir Kalkwasser und bleichte mir nur diese eine Strähne. Ich dachte, es würde dich … dazu bringen, mich anzunehmen … eine Zeitlang zumindest …«
»Ich hätte sterben können!« sagte ich zähneknirschend. »Und hätte das mit Freuden getan. Aber nicht für dich! Das kann ich dir versprechen, dies ist das letztemal gewesen, daß du mir mit deinen verfluchten Ränken und Zaubereien und Schändlichkeiten zu Leibe rückst.«
Unsinnigerweise rief sie: »Záa, du hast in deinen Haaren doch auch weiße Strähnen!«
Unsere Nachbarn und etliche andere Leute standen an der Straße und hatten einfältig gegrinst, als sie sahen, wie meine Frau gelaufen kam, den Heimkehrer in die Arme zu schließen. Sie hörten auf, freundlich zu lächeln, als ich anfing, auf sie einzuschlagen. Ich glaube wahrhaftig, ich hätte sie totschlagen können, würde ich die Kraft und die Ausdauer gehabt haben. Aber, wie sie selbst gesagt hatte, ich war erschöpft – und war nicht mehr jung, wie sie ebenfalls gesagt hatte.
Gleichwohl zerfetzte der herniedersausende Lederriemen ihre leichte Kleidung, ließ die Fetzen dann in alle Winde fahren, so daß sie nackt dalag bis auf die wenigen Lumpen um den Hals. Ihr honig- und kupferfarbener Körper, welcher Zyanyas Körper hätte sein können, war über und über mit dicken roten Striemen bedeckt, doch hatte ich nicht mehr die Kraft besessen, ihre Haut aufplatzen und das Blut hervortreten zu lassen. Als ich nicht mehr prügeln konnte, waren ihr vor Schmerz die Sinne geschwunden. Nackt, den Blicken aller preisgegeben, ließ ich sie liegen, es war mir alles gleichgültig, wankte die Treppenstufen hinan, war selber wieder halb tot.
Die alte Sklavin Türkis, noch älter geworden, steckte ängstlich den Kopf
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