Der Azteke
der Uey-Tlatoáni mich zu dem kissenbelegten Ehrensitz auf dem Boden zu seiner Rechten. Während wir aßen und ich mich heldenhaft bemühte, meinen Heißhunger zu zügeln, erging sich der Verehrte Sprecher ausführlich über meine bevorstehende »Mission zu den Göttern«. Er schlug Fragen vor, welche ich ihnen vorlegen sollte, nachdem ich ihre Sprache gelernt hätte, und überlegte, welchen von ihren Fragen man wohl tunlichst aus dem Wege gehen sollte. Ich wartete, bis er den Mund voll hatte mit einem Happen Wachtel und infolgedessen schweigen mußte, und wagte dann zu sagen:
»Hoher Gebieter, ich habe eine Bitte. Gestattet, daß ich mich zumindest für eine Weile daheim ausruhe, ehe ich mich wieder auf den Weg mache. Diese letzte Reise habe ich im Vollbesitz meiner Kraft angetreten, doch ich muß gestehen, daß ich das Gefühl habe, im Alter des Niemals heimzukommen.«
»Oh, gewiß«, sagte der Verehrte Sprecher verständnisvoll. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Dieses Schicksal blüht nun mal allen Menschen. Wir alle kommen zuletzt in das Ueyquin ayquic.«
Eurem Gesichtsausdruck entnehme ich, ehrwürdige Patres, daß ihr nicht begreift, was das Ueyquin ayquic ist, das »Alter des Niemals«. Nein, nein, ihr Herren, es bezeichnet nicht ein bestimmtes Alter von soundso viel Jahren. Manche erreichen es früher, andere später. Wenn man bedenkt, daß ich damals fünfundvierzig Jahre alt war, also in den mittleren Jahren stand, war ich ihm länger entgangen als die meisten Männer. Das Ueyquin ayquic ist jenes Alter, in dem Männer anfangen, mit sich selbst zu reden: »Ayya, so steil sind mir die Berge nie zuvor erschienen …« oder: »Ayya, früher hat mich mein Rücken doch nicht so geschmerzt …« oder: »Ayya, noch nie zuvor habe ich ein graues Haar bei mir entdeckt …«
Das ist das Alter des Niemals.
Motecuzóma fuhr fort: »Nur zu, Ritter Mixtli, nimm dir Zeit und komm wieder zu Kräften, ehe du dich nach Süden aufmachst. Doch diesmal sollst du nicht zu Fuß oder allein gehen. Ein offizieller Sendbote der Mexíca muß in feierlichem Aufzug daherkommen, zumal, wenn er mit den Göttern sprechen soll. Ich werde dir einen prächtigen Tragstuhl und kräftige Träger sowie eine bewaffnete Eskorte zur Verfügung stellen, und du wirst den prächtigsten Schmuck der Adlerritter tragen.«
Als wir uns im Lichtschein des untergehenden Mondes und der erlöschenden Feuer schlafen legen wollten, rief Motecuzóma nach einem seiner Schnellboten. Er erteilte dem Mann seinen Auftrag, und der Läufer machte sich augenblicklich nach Tenochtítlan auf, um meinen Haushalt von meiner bevorstehenden Rückkehr zu unterrichten. Das zu tun, war sehr zuvorkommend von Motecuzóma und wohlgemeint damit meine Diener und meine Frau Béu Ribé Zeit hätten, mir einen gebührenden Empfang zu bereiten. Doch die Wirkung dieses Empfangs sollte mich nahezu umbringen und machte mich so rasend, daß ich Béu beinahe umgebracht hätte.
Nächsten Mittag suchte ich mir meinen Weg durch die Straßen von Tenochtítlan. Da ich abstoßend war wie ein vom Aussatz befallener Bettler und nahezu ebenso unschicklich gekleidet wie ein auf seinen Schwanz stolzer Huaxtécatl, machten die Leute entweder einen weiten Bogen um mich oder sie zogen den Umhang mit Bedacht eng um sich, um nicht mit mir in Berührung zu kommen. Doch als ich jenes Stadtviertel Ixacuálco erreichte, in dem ich wohnte, traf ich auf einige Nachbarn, an die ich mich noch erinnerte, und diese grüßten mich immerhin höflich. Dann sah ich mein eigenes Haus; die Hausherrin stand oben an der Treppe an der Tür, und ich hob meinen Topas – und wäre um ein Haar mitten auf der Straße tot umgefallen. Es war Zyanya, die mich dort erwartete.
Sie stand im hellen Tageslicht da, nur in Bluse und Rock gekleidet, den wunderschönen Kopf unbedeckt – und die einzigartige weiße Haarsträhne war deutlich in ihrem wallenden schwarzen Haar zu erkennen. Der Schrecken war so groß, daß er alle meine Sinne und Organe durcheinanderbrachte. Plötzlich war mir, als ob ich von unter Wasser zu ihr aufblickte, mitten aus einem Strudel heraus; die Häuser und die Leute kreisten um mich herum. Mir schnürte sich die Kehle zu, und der Atem konnte weder herein noch heraus. Im ersten Augenblick machte mein Herz einen Freudensprung, dann hämmerte es wie wahnsinnig und wehrte sich, pochte sogar noch wilder als sonst in der letzten Zeit, wenn ich hohe Berge hatte erklimmen müssen. Ich wankte und suchte
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