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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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stumpfen Maya mögen sich über dieses Vorkommnis nicht über Gebühr aufregen. Doch wenn die Neuigkeit unter Völkern bekannt wird, welche weiter denken können und Phantasie besitzen, könnte das zu einem Aufruhr führen, und das will ich nicht.«
    »Ich bin in Tihó gewesen«, sagte ich. »Es ist mehr als ein Dorf, schon eher eine ansehnliche Stadt, und die Menschen, die darin leben, sind Xiu, welche die übrigen Maya weit überragen. Ich vermute, sie werden tun, was Ihr ihnen aufgetragen habt. Und die Angelegenheit geheim halten.«
    Im Mondlicht sah ich, wie Motecuzóma sich mir zuwandte; sein Kopf neigte sich scharf vor, als er sagte: »Du sprichst die Maya-Sprachen?«
    »Den Xiu-Dialekt, ja, Hoher Gebieter. Zumindest einigermaßen.«
    »Und bist auch mit anderen fremdländischen Zungen vertraut?« Er fuhr fort, ehe ich eine Antwort geben konnte, schien jedoch mit sich selbst zu sprechen. »Ich bin hierher nach Teotihuácan gekommen, der Stadt Quetzalcóatls, in der Hoffnung, daß er oder irgendein anderer Gott mir ein Zeichen geben würde. Irgendeinen Hinweis, wie ich am besten mit der Situation fertig werde. Und wen finde ich hier in Teotihuácan vor?« Er lachte, wiewohl dieses Lachen etwas gequält klang, und dann wandte er sich wieder mir zu: »Du könntest viele Verfehlungen in der Vergangenheit wiedergutmachen, Ritter Mixtli, wenn du dich freiwillig bereit fändest zu tun, was über die Fähigkeiten anderer Männer hinausgeht, selbst über die der höchsten Priester der Menschen. Wenn du Sendbote der Mexíca – ja, aller Menschen – für die Götter sein wolltest.«
    Die letzten Worte sprach er witzelnd, gleichsam, als ob er selbst nicht an sie glaube, doch waren wir beide uns darüber im klaren, daß er sie gleichwohl nicht für völlig unglaubwürdig fand. Die Vorstellung war atemberaubend: daß ich der erste Mensch sein sollte, der mit Wesen, die vielleicht keine Menschen waren, die vielleicht sogar etwas unendlich Höheres als Menschen waren, sprach – nicht großsprecherisch auf sie einredete, wie die Priester es taten, oder durch irgendeine mystische Weise mit ihnen verkehren, sondern richtig mit ihnen sprach. Daß ich Worte sprechen und Worte aus Göttermund hören sollte!
    Doch in diesem Augenblick verschlug es mir völlig die Sprache, und Motecuzóma lachte abermals – über meine Sprachlosigkeit. Er erhob sich, reckte sich auf dem Gipfel der Pyramide in die Höhe, beugte sich dann zu mir herab, klopfte mir auf die Schulter und sagte fröhlich: »Zu schwach, um ja oder nein zu sagen, Ritter Mixtli? Nun, meine Diener sollten inzwischen eine herzhafte Mahlzeit fertig haben. Komm, sei mein Gast und laß mich deine Entschlossenheit füttern.«
    Wir suchten uns also auf der mondbeschienenen Seite der Sonnenpyramide vorsichtig unseren Weg hinunter, und der Abstieg war fast genauso schwierig wie der Aufstieg. Dann wandten wir uns auf der Allee der Toten zum Lagerplatz mit der dritten und kleinsten der Pyramiden von Teotihuácan daneben, wo von den rund hundert Dienern, Priestern, Rittern und Höflingen, die Motecuzóma begleiteten, Feuer entfacht worden waren, gekocht wurde und Lagerstätten mit Moskitonetzen auf dem Boden ausgebreitet wurden. Begrüßt wurden wir von jenem Hohenpriester, welcher, wie ich mich erinnerte, vor fünf Jahren die Zeremonie des Neuen Feuer geleitet hatte. Er schenkte mir nur einen flüchtigen Blick und schickte sich an, mit aufgeblasener Gewichtigkeit zu sagen:
    »Verehrter Sprecher, was die morgigen Bittgesuche an die alten hiesigen Götter betrifft, so schlage ich als erstes vor …«
    »Die Mühe kannst du dir schenken«, unterbrach Motecuzóma ihn. »Wir brauchen keine feierlichen Bittgesuche mehr. Wir werden nach Tenochtítlan zurückkehren, sobald wir morgen aufwachen.«
    »Aber Hoher Gebieter«, erhob der Priester Einspruch. »Nachdem wir mit Eurem ganzen Gefolge und den erlauchten Gästen den langen Weg hierher gemacht haben …«
    »Bisweilen gewähren die Götter ihre Gnade, ehe man sie auch nur darum bittet«, erklärte Motecuzóma und bedachte mich mit einem vielsagenden Blick. »Allerdings werden wir nie genau wissen, ob sie ernstlich gewährt wurde oder nur im Spaß.«
    Also nahmen er und ich im Kreis seiner Palastwache und anderer Ritter, von denen viele mich erkannten und grüßten, Platz, um zu essen. Wiewohl ich inmitten der prächtig herausgeputzten, gefiederten und juwelengeschmückten Versammlung abgerissen, zerlumpt und verschmutzt wirkte, geleitete

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