Der Azteke
Seufzer für die Freunde, die an meiner Statt gestorben waren. »Ich habe nur bewiesen, daß es die legendären Vorratslager der Azteca nicht gibt und nie gegeben hat.« Sodann berichtete ich ihm in kurzen Zügen von meiner Reise und schloß mit den Worten, welche ich in den verschiedensten Sprachen überall zu hören bekommen hatte. Motecuzóma nickte düster und wiederholte die Worte, starrte hinaus in die Nacht, als könnte er alle Lande seines Herrschaftsbereiches von hier aus überblicken, und aus seinem Munde klangen die Worte wie ein Grabspruch:
»Die Azteca sind hier gewesen, aber sie haben nichts mitgebracht und haben nichts zurückgelassen, als sie fortzogen.«
Nach einer Weile unbehaglichen Schweigens sagte ich: »Über zwei Jahre habe ich nichts von Tenochtítlan oder dem Dreibund gehört. Wie stehen die Dinge dort, Verehrter Sprecher?«
»Ähnlich trostlos, wie du die Dinge des traurigen Aztlan beschreibst. Durch unsere Kriege gewinnen wir nichts. Unser Herrschaftsgebiet ist um keine Handspanne gewachsen, seit du es das letztemal gesehen hast. Der Zeichen mit böser Vorbedeutung werden immer mehr, werden immer geheimnisvoller und sprechen drohend von kommendem Unheil.«
Er war so gnädig, mir einen kurzen Überblick über das zu geben, was sich in den letzten Jahren ereignet hatte. Er hatte nie aufgehört, in unser eigensinnig auf Unabhängigkeit bedachtes Nachbarland Texcála einzufallen und zu versuchen, es zu unterjochen – ein Bemühen, welches sich durch eine erstaunliche Erfolglosigkeit auszeichnete. Die Texcaltéca waren immer noch unabhängig und Tenochtítlan womöglich noch feindseliger gesonnen als zuvor. Bei dem einzigen Kampf, welchen Motecuzóma immerhin einigermaßen erfolgreich nennen mochte, hatte es sich um einen Vergeltungsschlag gehandelt. Die Bewohner einer Tlaxiáco genannten Stadt irgendwo im Mixtéca-Land hatten die reichen, für Tenochtítlan bestimmten Tributlieferungen von Städten weiter unten im Süden abgefangen und für sich behalten. Motecuzóma hatte seine Truppen selbst angeführt und die Stadt Tlaxiáco in eine Blutlache verwandelt.
»Allerdings haben sich die Staatsgeschäfte nicht ganz so entmutigend entwickelt wie das, was in der Natur geschehen ist«, fuhr er fort. »Vor etwa anderthalb Jahren hat sich der ganze Texcóco-See in einen kochenden Kessel verwandelt, als wäre er das Große Meer. Einen Tag und eine Nacht lang brodelte und schäumte er und überflutete einige tiefgelegene Gebiete. Und das alles aus keinem ersichtlichen Grund: Es tobte kein Sturm, und es gab auch keinen Wind und kein Erdbeben, welche den Aufruhr des Wassers hätten erklärlich erscheinen lassen. Dann, im vorigen Jahr und nicht minder unerklärlich, brach im Huitzilopóchtli-Tempel Feuer aus; er brannte lichterloh, bis er vollständig zerstört war. Er ist zwar wiederaufgebaut worden, und der Gott hat durch nichts erkennen lassen, daß er außer sich gewesen wäre. Nur, das Feuer oben auf der Großen Pyramide ist überall am See zu sehen gewesen und hat Schrecken in die Herzen aller fahren lassen, die es sahen.«
»Höchst merkwürdig«, stimmte ich zu. »Wie konnte in einem Tempel aus Stein Feuer ausbrechen? Selbst wenn ein Wahnsinniger eine Fackel daran gehalten hätte? Stein brennt doch nicht.«
»Geronnenes Blut aber wohl«, sagte Motecuzóma, »und das Tempelinnere war mit einer dicken Schicht davon bedeckt.
Noch tagelang hinterher hat der Gestank über der Stadt gelegen. Doch all diese Geschehnisse, welche Vorbedeutung auch immer sie haben mögen, liegen in der Vergangenheit. Und jetzt kommt dieses verfluchte Ding!«
Er zeigte zum Himmel hinauf. Ich hob meinen Kristall vors Auge, um hinaufzuspähen, und stieß unwillkürlich einen Grunzer aus, als ich das Ding sah. Ich hatte nie zuvor eines gesehen; vermutlich hätte ich auch dieses nie bemerkt, wenn meine schwachen Augen nicht darauf hingelenkt worden wären; doch dann erkannte ich in ihm das, was wir einen rauchenden Stern nannten. Ihr Spanier nennt es einen Sternschweif oder Kometen. Eigentlich sah er recht hübsch aus – wie ein schimmernder Daunenbausch, welcher sich unter die Sterne verirrt hatte –, doch selbstverständlich wußte ich, daß er voller Furcht betrachtet wurde, als ein unmißverständlicher Hinweis auf kommendes Unheil.
»Die Hofastronomen haben ihn vor einem Mond zuerst entdeckt«, sagte Motecuzóma, »und da war er noch so klein, daß kein ungeübtes Auge ihn hätte erkennen können. Seither ist er
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