Der Azteke
Mutter. Aber hat man sie vielleicht rüde behandelt, als sie hierherkamen?«
Auch Tutal schien gekränkt und sagte eisig: »Man hat sie vom ersten Augenblick an mit größter Herzlichkeit Zuvorkommenheit, ja, sogar Ehrfurcht behandelt. Wie ich schon sagte: zwei waren tot, als sie hierherkamen – zumindest waren unsere besten Ärzte überzeugt davon, daß sie tot wären. Infolgedessen haben wir den Toten, wie es sich in der zivilisierten Welt gehört, ein würdiges Begräbnis und jede denkbare Ehre, die zeremonielle Zubereitung und das zeremonielle Verzehren ihrer edelsten Teile und Organe zuteil werden lassen. Das war der Augenblick, wo die beiden lebenden Götter machten, daß sie in ihre Wohnung kamen, aus welcher sie, bis jetzt schmollend, nicht herausgekommen sind.«
Auf gut Glück riet ich: »Vielleicht haben sie es übelgenommen, daß Ihr es so eilig damit hattet, etwas loszuwerden, was sie möglicherweise als ihre Ersatzkörper betrachteten.«
Verzweifelt warf Ah Tutal die Hände in die Höhe und sagte: »Nun, bei der Abgeschiedenheit, welche sie sich selbst auferlegt haben, wären die Körper, in denen sie jetzt sind, längst verhungert, wenn wir ihnen nicht regelmäßig Diener mit Essen und Trinken hineingeschickt hätten. Trotzdem essen die beiden nur sehr wenig – und nur Früchte und Gemüse und Körner, kein Fleisch, nicht einmal Leckerbissen wie Tapir und Seekuh, Ritter Ek Muyal. Ich habe mich redlich bemüht dahinterzukommen, was sie am liebsten mögen, aber ich gestehe, daß ich nicht recht schlau daraus geworden bin. Zum Beispiel, was die Frauen betrifft …«
»Dann bedienen sie sich der Frauen wie sterbliche Männer?« fiel ich ihm ins Wort.
»Ja, ja, ja«, sagte er ungeduldig. »Nach dem, was die Frauen erzählen, sind sie Männer in jeder Beziehung, bis auf ihre übertriebene Behaarung. Und ich darf wohl behaupten, daß ein Gott, welcher so ausgestattet ist wie ein Mann, mit diesem Organ auch umgehen wird, wie ein Mann es tut. Recht bedacht Ritter Ek Muyal – was sonst kann man auch schon damit anfangen, selbst als Gott?«
»Ihr habt selbstverständlich recht Herr Mutter. Fahrt fort.«
»Ich habe ihnen ständig Frauen geschickt, immer zwei auf einmal, doch haben die Fremden keine von ihnen länger als zwei oder drei Nächte hintereinander behalten. Sie schickten sie immer wieder hinaus – auf daß ich, wie ich vermute, andere hineinschickte, und infolgedessen tue ich das. Keine von unseren Frauen scheint sie länger zu befriedigen. Falls sie auf irgendeine besondere Art Frauen hoffen oder mir das zu verstehen geben wollen – woher soll ich wissen, was sie wollen oder wo ich sie hernehmen soll? Eines Nachts habe ich vorsichtshalber einmal zwei hübsche Knaben hineingeschickt, woraufhin unsere Gäste sich furchtbar aufgeregt und die Knaben erst verprügelt und dann hinausgeworfen haben. Jetzt gibt es kaum noch irgendwelche frei verfügbaren Frauen in Tihó und Umgebung, mit denen ich es probieren kann. Sie haben praktisch schon alle Frauen und Töchter eines jeden Xiu gehabt, bis auf meine eigenen und die der anderen Adeligen. Außerdem laufe ich Gefahr, daß alle unsere Frauen aufsässig werden, denn ich muß brutale Gewalt anwenden, um auch noch die niedrigste Sklavin in dieses übelriechende Loch hineinzutreiben. Die Frauen behaupten, das unnatürlichste und Schlimmste an den Fremden sei, daß selbst ihr Gemächt von Haaren umwachsen sei und sie überdies im Schritt womöglich noch übler riechen als aus dem Mund oder unter den Armen. Oh, gewiß, ich weiß, daß Euer Verehrter Sprecher behauptet, ich müsse es als eine hohe Ehre und Gnade empfinden, diesen beiden Göttern oder was immer sie sein mögen, Gastgeber zu sein. Aber ich wünschte, Motecuzóma wäre hier und könnte selbst einmal ausprobieren, wie das ist, Hüter von zwei so pestilenzialisch stinkenden Gästen zu sein. Ich sage Euch, Ek Muyal, ich empfinde diese Ehre nachgerade mehr als ein Ärgernis und eine Zumutung! Wie lange soll das noch so weitergehen? Ich möchte sie nicht mehr hier haben, doch wage ich es nicht, sie hinauszuwerfen. Ich danke all den anderen Göttern, daß ich die beiden ein gutes Stück von hier entfernt auf der anderen Seite des Palasthofs untergebracht habe; und dennoch, wenn es dem Windgott gefällt, trägt er mir den Geruch dieser beiden unwillkommenen Wesen herüber, und der wirft mich nahezu um. Noch ein oder zwei Tage, und ich glaube, es bedarf nicht einmal mehr des Winds, den Gestank bis
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