Der Azteke
Xiu-Vokabular ging, kamen wir auf den Grund meines Besuches zu sprechen.
»Herr Mutter«, sagte ich zu ihm, denn mit diesem lächerlichen Titel wird der Häuptling eines jeden Gemeinwesens dort unten angeredet, »sagt mir: sind sie Götter, diese Neuankömmlinge?«
»Ritter Ek Muyal«, sagte die Mutter und benutzte die Maya-Form meines Namens, »als ich Eurem Verehrten Sprecher die Nachricht zukommen ließ, war ich überzeugt, daß sie es wären. Aber jetzt …« Er setzte eine zweifelnde Miene auf.
Ich fragte: »Könnte einer von ihnen der langverschollene Gott Quetzalcóatl sein, welcher versprach wiederzukommen, jener Gott, den Ihr in diesen Landen Kukulkán nennt?«
»Nein. Zumindest hat keiner von diesen Fremden die Gestalt einer gefiederten Schlange.« Doch dann seufzte er und sagte: »Wenn einfach nichts Wunderbares an ihnen ist – wie soll man einen Gott erkennen? Diese beiden könnten durchaus dem Aussehen nach als Menschen gelten, wiewohl sie beträchtlich viel größer und wesentlich behaarter sind als alle anderen Menschen sonst. Sie sind sogar größer als Ihr.«
Ich sagte: »Nach der Überlieferung haben die Götter oft menschliche Gestalt angenommen, wenn sie der Welt der Sterblichen einen Besuch abstatten wollten. Da wäre es doch durchaus verständlich, wenn sie Körper von einer Größe wählten, die geeignet wäre, uns einzuschüchtern.«
Ah Tutál fuhr fort: »Es waren ihrer vier in dem merkwürdig gebauten Kanu, welches nördlich von hier an den Strand geworfen wurde. Doch als man sie auf Tragbahren nach Tihó brachte, entdeckten wir, daß zwei von ihnen tot waren. Können Götter tot sein?«
»Tot … ?« sann ich. »Wäre es nicht denkbar, daß sie noch nicht lebendig waren! Vielleicht waren es Ersatzkörper, welche die beiden mit sich herumschleppten, um in sie hineinzuschlüpfen, sobald ihnen der Sinn nach Abwechslung stand?«
»Darauf wäre ich nie gekommen«, erklärte Ah Tutál sichtlich voller Unbehagen. »Ganz gewiß sind sie in ihren Gewohnheiten und ihren Begierden etwas Außergewöhnliches, und ihre Sprache übersteigt unser Verstehen. Sollte man nicht meinen, daß Götter, welche sich die Mühe machen, als Menschen zu erscheinen, sich auch noch die Mühe machen, eine menschliche Sprache zu sprechen?«
»Es gibt viele menschliche Sprachen, Herr Mutter. Vielleicht haben sie sich eine ausgewählt, welche man hierzulande nicht versteht. Möglich jedoch, daß ich sie auf Grund meines Aufenthalts in der Fremde kenne.«
»Herr Ritter«, sagte der Häuptling ein wenig verdrießlich, »Ihr habt auf alles eine Antwort wie die Priester. Aber könnt Ihr mir sagen, warum diese beiden um alles auf der Welt nicht baden wollen?«
Ich dachte darüber nach. »In Wasser, meint Ihr?«
Dem Blick nach zu urteilen, mit dem er mich bedachte, fragte er sich, ob Motecuzóma ihm womöglich seinen Hofnarren als Abgesandten geschickt habe. Er sagte und betonte jedes Wort sehr genau, als er sagte: »Jawohl, in Wasser. Was sollte ich sonst meinen, wenn ich von Baden spreche?«
Ich hüstelte höflich und sagte: »Woher wollt Ihr wissen, ob die Götter es nicht gewohnt sind, in reiner Luft zu baden? Oder gar im noch reineren Sonnenlicht?«
»Weil sie stinken!« erklärte Ah Tutál triumphierend und angewidert zugleich. »Ihr Körper riecht ungewaschen, nach Schweiß, üblem Atem und längstverkrustetem Schmutz. Als ob das noch nicht reichte, scheint es ihnen nichts auszumachen, Blase und Darm aus den Hinterfenstern ihrer Kammern zu entleeren, und sie genießen es offenbar auch noch, diesen Kot draußen sich türmen zu lassen. Jedenfalls macht es ihnen nicht das geringste aus, in diesem abscheulichen Gestank zu leben. Die beiden scheinen nicht zu wissen, was Sauberkeit ist, genauso wie sie Freiheit und das gute Essen nicht zu schätzen wissen, welches wir ihnen bieten.«
Ich sagte: »Was meint Ihr: wissen nicht, was mit der Freiheit anzufangen?«
Ah Tutál zeigte durch eines der schiefen Fenster seines Thronsaals hinüber auf ein niedriges Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes. »Sie sind dort drüben drin. Und sie bleiben drin.«
Da entfuhr es mir: »Ihr werdet doch keine Götter eingesperrt halten?«
»Nein, nein, nein! Sie bleiben aus freien Stücken dort drinnen. Ich habe Euch doch schon gesagt, daß ihr Verhalten höchst eigenwillig ist. Seit ihrer Ankunft hier, als man ihnen diese Kammern zuwies, sind sie noch nicht herausgekommen.«
Ich sagte: »Verzeiht meine Frage, Herr
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