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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ich. »Meine Wachleute können sie auf der Stelle herausziehen.«
    »Ihr würdet es wagen, Hand an die Götter zu legen?«
    »Wenn sie Blitz und Donner herniederfahren lassen«, erklärte ich, »wissen wir jedenfalls, daß sie wirklich Götter sind«.
    Sie taten jedoch nichts dergleichen. Wiewohl sie sich wehrten und strampelten und schrien, als sie mit Gewalt aus ihrer Wohnung auf den offenen Hof herausgebracht wurden, waren die beiden Fremden bei weitem nicht so entsetzt darüber wie meine Wachleute, welche kaum an sich halten konnten, nicht zu erbrechen oder zu ersticken. Und als die kräftigen Männer die beiden losließen, sprangen diese auch nicht zornig umher oder stießen drohende Laute aus oder vollführten irgendwelche erkennbaren Zaubereien. Sie fielen vor mir in die Knie und begannen jämmerlich zu brabbeln, vollführten sonderbare Gebärden, legten die Hände erst vorm Gesicht zusammen, um dann immer dasselbe Zeichen zu machen. Heute weiß ich selbstverständlich, daß sie über ihren zusammengelegten Händen ein Gebet in der christlichen Sprache des Latein beteten und hastig ein über das andere Mal das Kreuzeszeichen schlugen: von der Stirn zum Herzen, und von einer Schulter zur anderen.
    Auch brauchte ich nicht lange, um dahinterzukommen, daß sie sich nur deshalb in ihrer Wohnung verkrochen hatten, weil die wohlgemeinte Art und Weise, wie die Xiu mit ihren beiden toten Gefährten verfahren waren, ihnen Angst gemacht hatte. Wenn die Fremden schon vor den Xiu Angst gehabt hatten, die schließlich besonders sanft und einfältige Gemüter sind, so konnte ich verstehen, daß sie sich halb zu Tode ängstigten, als sie sich unversehens mir und meinen Mexíca gegenübersahen – ingrimmig dreinschauenden großen Männern, unverkennbar Krieger, furchterregend angetan mit unserem Kampfanzug, Helmen und Federn und Obsidianwaffen.
    Eine Zeitlang besah ich sie mir nur durch meinen Sehkristall, was sie jedoch dazu brachte, nur noch unterwürfiger zu winseln. Wiewohl ich heute mit dem wenig ansprechenden Aussehen der weißen Männer vertraut bin und mich damit abgefunden habe – damals war das durchaus nicht so, und ich fühlte mich gleichermaßen fasziniert und abgestoßen vom Kalkweiß ihrer Gesichtshaut –, denn in unserer Einen Welt war Weiß die Farbe des Todes und der Trauer. Menschen von dieser Farbe gab es nicht, höchstens gelegentlich einmal einen bedauernswerten Tlacaztáli-Albino. Doch diese beiden hatten immerhin menschliche braune Augen und schwarzes oder doch zumindest dunkles Haar, letzteres freilich ungewohnt gekräuselt; außerdem sproß ihnen der gleiche Haarschopf, den sie auf dem Kopf hatten, noch einmal auf den Wangen, der Oberlippe, dem Kinn und der Kehle. Alles andere von ihnen war unter einem – für unsere Begriffe – Übermaß an Kleidung verborgen. Heute kenne ich Hemd und Wams, Hose, Handschuhe und Stulpenstiefel und was es noch an Kleidungsstücken gibt; trotzdem finde ich sie immer noch höchst unbeholfen, beengend und vermutlich unbequem im Vergleich zu unserem schlichten und in keiner Weise hinderlichen Anzug aus Schamtuch und Umhang.
    »Zieht sie aus!« befahl ich meinen Wachen, welche erst aufmuckten und mich widersetzlich anfunkelten, ehe sie meinem Befehl gehorchten. Abermals wehrten die Fremden sich und kreischten womöglich noch lauter als zuvor, als ob man ihnen das Fell über die Ohren ziehen wollte, statt nur die Kleider aus Stoff und Leder. Dabei hätte es uns Zuschauern mehr angestanden, uns zu beschweren, denn jedes Kleidungsstück, das man ihnen auszog, gab eine weitere und womöglich noch erstickendere Wolke übelsten Geruchs frei. Und als man ihnen die Stiefel auszog – yya ayya! –, als sie von den Stiefeln befreit wurden, zog jeder im Palasthof, ich selbst eingeschlossen, sich eilends so weit zurück, daß die beiden Fremden nackt und sich windend im Mittelpunkt eines außerordentlich weiten Kreises von Zuschauern standen.
    Früher habe ich irgendwo zuvor hochmütig vom Dreck und Schmutz der Chichiméca-Wüstenbewohner gesprochen, gleichwohl jedoch erklärt, daß ihr Schmutz das Ergebnis der Umstände war, in denen sie lebten, und daß sie sich sehr wohl badeten und wuschen und kämmten und lausten, sobald sie dazu Gelegenheit hatten. Die Chichiméca waren Gartenblumen im Vergleich mit den weißen Männern, welche offensichtlich nichts gegen ihren abstoßenden Schmutz und Gestank hatten und Sauberkeit als ein Zeichen von Schwäche oder Weibischkeit

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