Der Azteke
abgelegener Provinzen der Mexíca, der anderen Länder des Dreibunds und fremder Völker; er gewährte einzelnen Bittstellern, welche Klagen und Beschwerden vorbrachten, Audienz. Einer von denen, welche ihn am häufigsten aufsuchten, war sein Neffe Cacáma, der zweifellos – und zurecht – nervös war, weil sein Thron von Texcóco wackelte. Aber vielleicht hatte Cortés seine Verbündeten und Untergebenen gleichfalls geheißen, »Ruhe zu bewahren und abzuwarten«. Jedenfalls tat keiner – nicht einmal Prinz Schwarz Blume, welcher ungeduldig darauf wartete, den Thron der Acólhua wieder an sich zu reißen – etwas Unüberlegtes. Den ganzen Winter über schien das Leben in unserer Welt weiterzugehen wie immer – genauso, wie Motecuzóma es versprochen hatte.
Ich sagte: schien weiterzugehen, denn ich persönlich hatte immer weniger mit Staatsangelegenheiten zu tun. Es kam nur noch selten vor, daß man bei Hof meine Anwesenheit forderte – höchstens dann, wenn eine Frage auftauchte, zu welcher Motecuzóma die Meinung aller seiner in der Stadt lebenden Herren hören wollte. Meine weniger großartige Arbeit als Dolmetsch wurde auch immer weniger und hörte schließlich ganz auf, denn Motecuzóma war offenbar zu der Überzeugung gelangt, daß dem Manne Cortés zu trauen, bedeutete, der Frau Malintzin trauen zu können. Die drei verbrachten viel Zeit miteinander. Das ließ sich wohl kaum vermeiden, wo sie doch alle unter einem Dach lebten, mochte der Palast auch noch so groß sein. Tatsache ist jedoch, daß Cortés und Motecuzóma ihre gegenseitige Gesellschaft genossen. Sie unterhielten sich häufig über die Geschichte und die augenblicklichen Verhältnisse ihrer beiden Länder, Religionen und Lebensweise. Um nicht immer ernste Gespräche zu führen und auch etwas Abwechslung zu haben, brachte Motecuzóma Cortés das Patóli-Bohnen-Glücksspiel bei, und zumindest ich hoffte, daß der Verehrte Sprecher um hohe Einsätze spielte und daß er gewann, damit er auf diese Weise zumindest einen Teil des Schatzes behielt, welchen er den weißen Männern versprochen hatte.
Cortés wiederum machte Motecuzóma mit einem anderen Zeitvertreib bekannt. Er ließ von der Küste einige seiner Seeleute kommen – jene Handwerker, die ihr Bootsbauer nennt –, welche die notwendigen Metallwerkzeuge, Geräte und Beschläge mitbrachten. Diese Bootsbauer ließen durch Waldarbeiter einige gute geradegewachsene Bäume fällen, aus denen sie fast wie durch Zauberhand Planken und Balken, Spanten und Masten fertigten. In überraschend kurzer Zeit hatten sie in der Hälfte seiner natürlichen Größe eines ihrer seegängigen Schiffe gebaut und ließen es auf den Texcóco-See vom Stapel laufen: das erste Schiff mit den Segel genannten Flügeln, welches jemals unsere Gewässer befuhr. Die Seeleute übernahmen das verzwickte Geschäft des Steuerns, und Cortés nahm Motecuzóma – manchmal in Begleitung von Angehörigen seiner Familie oder seines Hofes – häufig zu Ausflügen auf den fünf zusammenhängenden Seen mit.
Ich bedauerte es keineswegs, nach und nach von meinen Pflichten bei Hofe oder bei den weißen Männern entbunden worden zu sein. Ich war froh, mein früheres Leben eines reichen Mannes im Ruhestand wieder aufzunehmen und auch wieder viel Zeit im Haus der Pochtéca zu verbringen, wiewohl nicht mehr ganz soviel Zeit wie früher. Meine Frau verlangte es zwar nicht ausdrücklich von mir, aber ich spürte, daß ich mehr Zeit daheim und in ihrer Gesellschaft verbringen sollte, denn sie schien schwach und leicht zu ermüden. Wartender Mond hatte ihre freie Zeit von jeher mit weiblichen kleinen Tätigkeiten wie etwa Sticken verbracht, doch bemerkte ich, daß sie ihre Stickereien jetzt ganz dicht an die Augen hielt. Auch kam es häufiger vor, daß sie einen Kochtopf oder irgend etwas anderes aufnahm, fallen ließ und zerbrach. Als ich mich besorgt danach erkundigte, sagte sie nur:
»Ich werde alt, Záa.«
»Wir sind fast gleich alt«, erinnerte ich sie.
Diese Bemerkung schien sie zu kränken, als ob ich unversehens aufgesprungen und herumgetanzt wäre, um ihr zu zeigen, wie jugendlich ich im Vergleich zu ihr noch sei. Für ihre Verhältnisse recht scharf, sagte Béu: »Das ist einer der Flüche des Frauendaseins. In jedem Alter sind sie älter als die Männer.« Dann wurde sie weicher, lächelte und machte, daß es so klang wie ein harmloser Scherz. »Das ist der Grund, warum Frauen ihre Männer wie Kinder behandeln. Weil die nie alt
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