Der Azteke
sein König mehr Schiffe sendet. Wenn er und ich bis dahin in einem Palast wohnen, beweist das zweierlei: daß ich Cortés traue, daß er mir nichts antut, und daß ich meinem Volk vertraue, ihn nicht soweit zu reizen, daß er irgend jemand etwas antut. Diese Leute sollten jetzt also weniger geneigt sein, weiteren Streit zu stiften. Das war der Grund, warum Cortés mich aufforderte, hier sein Gast zu sein.«
»Sein Gefangener«, sagte Cuitláhuac fast verächtlich schnaubend.
»Ich bin kein Gefangener«, wiederholte Motecuzóma mit Nachdruck. »Ich bin immer noch euer Uey-Tlatoáni, immer noch der Herrscher dieses Volkes, immer noch der führende Bundesgenosse des Dreibunds. Ich habe dieses kleine Zugeständnis nur gemacht, damit der Friede zwischen uns und den weißen Männern erhalten bleibt, bis sie wieder abziehen.«
Ich sagte: »Verzeiht, Verehrter Sprecher. Ihr scheint fest davon überzeugt, daß sie wieder fortziehen. Woher wißt Ihr das? Und wann?«
Er bedachte mich mit einem Blick, der erkennen ließ, daß er wünschte, ich hätte diese Frage nicht gestellt. »Sie werden fortgehen, sobald sie die Schiffe haben, sie fortzubringen. Und ich weiß, daß sie wieder abziehen, weil ich ihnen versprochen habe, daß sie mitnehmen können, was zu holen sie gekommen sind.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte jemand: »Gold.«
»Ja. Viel Gold. Als die weißen Soldaten mir halfen, in diesen Palast umzuziehen, haben sie meinen Palast mit großer Gründlichkeit durchsucht. Sie haben auch die Schatzkammern gefunden, obgleich ich Vorsorge getroffen hatte, die Türen zumauern zu lassen, und …«
Hier unterbrachen ihn die enttäuschten und gedemütigten Aufschreie der meisten der Anwesenden, und dann begehrte Cuitláhuac zu wissen: »Ihr wollt ihnen den Staatsschatz geben?«
»Nur das Gold«, sagte Motecuzóma beschwichtigend. »Und die wertvolleren geschnittenen Steine. Das ist alles, woran sie interessiert sind. Federn und Farbstoffe, Jadesteine, seltene Blumensamen und dergleichen bedeuten ihnen nichts. Die werden wir also behalten, und diese Reichtümer werden das Volk unterhalten, während wir arbeiten und kämpfen und unsere Tributforderungen erhöhen, um den Schatz wieder aufzufüllen.«
»Aber das alles wegzuschenken«, rief jemand klagend.
»Wisset dieses«, fuhr Motecuzóma fort. »Die weißen Männer könnten das verlangen und den Reichtum eines jeden einzelnen Adligen außerdem – als Preis für ihren Abzug. Sie könnten einen Krieg deswegen führen und sich um Hilfe an ihre Verbündeten auf dem Festland wenden, es uns wegzunehmen. Ich ziehe es vor, etwas derartig Häßliches zu vermeiden, indem ich ihnen das Gold und die Edelsteine dem Anschein nach in großzügiger Geste anbiete.«
Mit zusammengebissenen Zähnen sagte die Weibliche Schlange: »Selbst als Oberschatzmeister der Mexíca, vorgeblich Hüter und Bewahrer des Schatzes meines Herrn und Gebieters, muß ich zugeben, daß das ein geringer Preis für die Vertreibung der Fremden wäre. Nur muß ich den Hohen Gebieter auf folgendes hinweisen: Jedes andere Mal, wo wir ihnen Gold gegeben haben, hat sie das nur dazu angestachelt, mehr zu wollen.«
»Ich habe nicht mehr zu geben, und ich glaube, ich habe sie überzeugt, daß das wahr ist. Bis auf jenes Gold, was als Zahlungsmittel im Umlauf ist oder sich im Besitz von einzelnen Privatleuten befindet, gibt es kein Gold mehr in den Landen der Mexíca. Unser Goldschatz stellt die Ernte von Schock um Schock Jahren dar. Es ist dasjenige, was alle unsere vorherigen Verehrten Sprecher zusammengetragen haben. Es würde ein ganzes Leben erfordern, unseren Landen auch nur einen Bruchteil davon abzuringen. Außerdem habe ich Bedingungen an dieses Geschenk geknüpft. Sie bekommen es nicht, bevor sie nicht von hier fortgehen, und sie sollen es direkt ihrem König Carlos überbringen, als persönliches Geschenk von mir an ihn – ein Geschenk aller Schätze, die wir haben. Cortés ist es zufrieden, und ich desgleichen, und so wird auch ihr König Carlos zufrieden sein. Wenn die weißen Männer abziehen, werden sie nicht wiederkommen.«
Keiner von uns sagte etwas, das abzustreiten – das taten wir erst, nachdem wir entlassen worden, durch das Palasttor in der Schlangenmauer hinausgelangt waren und über den Großen Platz gingen.
Einer sagte: »Das ist unerträglich! Der Cem-Anáhuac Uey-Tlatoáni ein Gefangener dieser dreckigen und stinkenden Barbaren.«
Ein anderer sagte: »Nein. Motecuzóma hat recht.
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