Der Azteke
wieder einzuholen.
Die weißen Wachen, die an dem Tor in der Schlangenmauer Aufstellung genommen hatten, tasteten uns alle nach verborgenen Waffen ab, ehe sie uns eintreten ließen. Wir gingen durch den Speisesaal hindurch, in welchem ein Berg von kunterbunt durcheinander geworfenem Goldgerät, Schmuck und Edelstein sich türmte, deren Metallteile und Edelsteine selbst in dem Dämmer, das hier herrschte, immer noch blitzte. Etliche Soldaten, welche den Schatz wohl bewachen sollten, fingerten an einzelnen Stücken herum, lächelten beseligt, und das Wasser lief ihnen förmlich aus dem Mund. Wir gingen nach oben in den Thronsaal, wo Cortés, Alvarado und zahlreiche andere Spanier warteten, darunter ein neuer, ein Einäugiger, welcher Narváez war. Motecuzóma machte einen eher umzingelten und belagerten Eindruck, denn bis zu unserem Eintreten war die Frau Malintzin der einzige andere Mensch seiner Rasse weit und breit. Wir alle vollführten die Geste des Erdeküssens vor ihm, er nickte nur kühl und fuhr fort, sich mit den weißen Männern zu unterhalten.
»Ich weiß nicht, was die Leute vorhatten. Ich weiß nur, daß sie eine Zeremonie feiern wollten. Über Eure Malintzin ließ ich Eurem Alvarado sagen, ich hielte es für besser, eine solche Versammlung so nahe bei seiner Garnison nicht zu gestatten; er solle einmal überlegen, ob es nicht besser sei, den Großen Platz zu räumen.« Motecuzóma seufzte tragisch auf. »Nun, Ihr wißt ja wohl, in welch beklagenswerter Weise er das tat.«
»Ja«, stieß Cortés zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, die Augen eisig auf Alvarado gerichtet, der dastand, die Hände rang und überhaupt so aussah, als hätte er nicht gerade eine angenehme Nacht hinter sich. »Du hast damit alles aufs Spiel gesetzt, was ich …« Cortés hüstelte und sagte statt dessen: »Damit hätte ich mir Euer Volk für alle Zeiten zu Feinden machen können. Was ich nicht begreife, Don Montezuma, ist, daß ich das nicht getan habe. Warum nicht? Wäre ich einer Eurer Untertanen, und mir wäre eine solche schändliche Behandlung widerfahren, ich hätte mich mit Kot beworfen, als ich hier einritt. Keiner in der Stadt scheint die geringste Verachtung zu bekunden, und das finde ich unnatürlich. Es gibt ein spanisches Sprichwort, das lautet: ›Ich kann dem reißenden Strom entgehen; Gott bewahre mich vor den stilleren Wassern.‹«
»Das liegt daran, daß sie alle mir die Schuld geben«, sagte Motecuzóma unglücklich. »Sie glauben, ich hätte irrsinniger weise befohlen, daß mein eigenes Volk getötet werde – all diese Frauen und Kinder – und daß ich mich auf niederträchtige Weise Eurer Männer als Waffe bedient hätte.« Es standen sogar Tränen in seinen Augen. »Deshalb haben alle meine Bediensteten entsetzt das Weite gesucht, und seither ist nicht einmal ein Straßenhändler mit gesottenen Maguey-Würmern in die Nähe gekommen.«
»Jawohl, eine höchst mißliche Lage«, sagte Cortés. »Wir müssen versuchen, das wieder in Ordnung zu bringen.« Er wandte seinen Blick Cuitláhuac zu, gab mir zu verstehen, ich solle dolmetschen und sagte: »Ihr seid der Oberbefehlshaber. Ich will mich jeder Spekulation über diese sogenannte religiöse Feier enthalten. Ich werde mich sogar demütig für das vorschnelle Verhalten meines Lieutenants entschuldigen. Gleichwohl möchte ich Euch daran erinnern, daß wir immer noch einen Waffenstillstand haben. Ich meine, es fällt unter die Verantwortlichkeit des Oberbefehlshabers, dafür zu sorgen, daß meine Männer nicht ins Abseits gedrängt werden, und weder Nahrungsmittel bekommen noch Kontakt mehr mit ihren Gastgebern haben.«
Cuitláhuac sagte: »Ich befehlige nur Krieger, Capitán-General. Wenn die Zivilbevölkerung es vorzieht, diesen Palast zu meiden, besitze ich nicht die Macht, ihnen das Gegenteil zu befehlen. Dazu ist nur unser Verehrter Sprecher befugt. Es waren Eure eigenen Leute, welche sich hier eingeschlossen haben und der Verehrte Sprecher mit ihnen.«
Cortés wandte sich wieder an Motecuzóma. »Dann ist es an Euch, Don Montezuma, diese Menschen zu beruhigen und sie zu bewegen, daß sie uns wieder mit Nahrungsmitteln versorgen und uns dienen.«
»Wie soll ich das tun, wenn sie nicht mehr in meine Nähe kommen wollen?« sagte Motecuzóma fast wehklagend. »Und wenn ich zu ihnen hinausgehe – das könnte mein Tod sein.«
»Wir werden eine Eskorte bereitstellen …«, begann Cortés, doch wurde er von einem Soldaten unterbrochen, der
Weitere Kostenlose Bücher