Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
nicht bis herauf und prallten dumpf gegen die Mauer des Palastes unter uns, doch erreichten genug andere das Dach, daß wir uns ducken und ihnen ausweichen mußten. Der Priester Huitzilopóchtlis stieß einen höchst unpriesterlichen Fluch aus, als die Steine ihn an der Schulter trafen. Etliche von den Spaniern hinter uns fluchten gleichfalls, als die Steine zwischen ihnen niederprasselten. Der einzige Mann – daß muß ich zugeben – der einzige Mann, der sich nicht rührte, war Motecuzóma.
    Er stand immer noch da, die Arme in versöhnlicher Geste in die Höhe gereckt, und schrie über den Lärm hinweg: »Wartet!« Er rief es auf náhuatl: »Mixchá … « Und dann traf ein Stein ihn direkt an der Stirn, er machte schwankend ein paar Schritte zurück und verlor die Besinnung.
    Cortés übernahm augenblicklich wieder das Kommando. Er fuhr mich an: »Kümmert Euch um ihn! Beruhigt ihn!« Dann packte er Cuitláhuac bei seinem Umhang, streckte den Arm aus, zeigte hinüber und sagte: »Tut, was Ihr könnt! Sagt irgend etwas! Der Mob muß beruhigt werden.« Malintzin dolmetschte es für Cuitláhuac, und er stand an der Brüstung und schrie, während ich und zwei spanische Offiziere Motecuzómas schlaffen Körper hinuntertrugen in den Thronsaal. Wir legten den Besinnungslosen auf eine Bank, und die beiden Offiziere rannten hinaus, vermutlich, um einen ihrer Wundärzte zu holen.
    Ich stand da und blickte hinab auf Motecuzómas Gesicht. Ganz entspannt und friedlich sah er aus, trotz der Beule, welche sich auf seiner Stirn bildete. Mir gingen in diesem Augenblick viele Dinge durch den Kopf: die Ereignisse und Begebenheiten, welche wir beide miterlebt hatten. Ich dachte daran, wie er während des Feldzugs in Uaxyácac treulos seinem eigenen Verehrten Sprecher Ahuítzotl getrotzt hatte … und wie er in seiner Verruchtheit versucht hatte, die Schwester meiner Frau zu schänden … und wie er mich aus Rache nach Yanquitlan geschickt hatte, wo meine Tochter Nochipa gestorben war … und sein schwächliches Zaudern, seit die weißen Männer an unseren Gestaden aufgetaucht waren … und sein Verrat an dem Versuch kühnerer Männer, unsere Stadt von den weißen Männern zu befreien. Jawohl, ich hatte viele Gründe, zu tun, was ich tat, und einige von diesen waren neu und zwingend. Doch ich vermute, ebensosehr wie aus irgendeinem anderen Grund tötete ich ihn aus Rache für das, was er vor langer Zeit Béu Ribé angetan, welche Zyanyas Schwester gewesen war und jetzt dem Namen nach meine Frau.
    All diese Gedanken gingen mir blitzschnell durch den Kopf. Ich blickte von seinem Gesicht auf und sah mich im Raum nach einer Waffe um. Zwei Texcaltéca-Krieger waren als Wachen zurückgelassen worden. Einen winkte ich heran, und als er kam und mich finster anblickte, bat ich ihn um den Dolch, welchen er an der Hüfte stecken hatte. Sein Gesicht verfinsterte sich womöglich noch mehr, unsicher, wer ich sei oder welchen Rang ich bekleidete, oder was ich vorhatte, doch als ich die Bitte herrisch und in befehlendem Ton wiederholte, reichte er mir die Obsidianklinge. Ich zielte sehr sorgfältig. Ich hatte genug Opferungen beigewohnt, um genau zu wissen, wo das Herz in der Brust eines Menschen sitzt. Dann stieß ich den Dolch bis ans Heft hinein, und Motecuzómas Brust hörte auf, sich leise zu heben und zu senken. Ich ließ den Dolch in der Wunde stecken, und so quoll nur wenig Blut rings um ihn hervor. Mit aufgerissenen Augen starrte der Texcaltéca mich fassungslos und entsetzt an, dann flohen er und sein Kamerad Hals über Kopf aus dem Raum.
    Mir war gerade eben Zeit genug geblieben. Ich hörte, wie der Aufruhr der Menge auf dem Großen Platz allmählich abebbte und ein immer noch zorniges, aber nicht mehr ganz so wütendes Grollen daraus wurde. Dann kamen alle, die auf dem Dach gewesen waren, die Treppe heruntergeklappert, eilten durch den Gang und kamen in den Thronsaal. Aufgeregt und besorgt redeten sie in ihren verschiedenen Sprachen miteinander, doch dann verstummten sie unvermittelt, als sie unter der Tür standen, erkannten, was geschehen war, und über die Ungeheuerlichkeit dessen nachsannen, was ich getan. Langsam kamen sie näher, Spanier und Mexíca-Edelleute gemeinsam, starrten sprachlos auf den Leichnam Motecuzómas, den Dolchgriff, welcher aus seiner Brust ragte, und auf mich, der ich ungerührt neben dem Leichnam stand. Cortés richtete seine ausdruckslosen Augen auf mich und sagte mit unheilverkündend leiser Stimme:
    »Was

Weitere Kostenlose Bücher