Der Azteke
einfach in Staub und Brocken zusammen.
Dieser Eisenregen zog sich mindestens zwei Monde lang hin, Tag für Tag, und ebbte nur des Nachts ab. Doch selbst in den Nächten noch schickten die Kanoniere in unregelmäßigen Abständen drei oder vier Kugeln zu uns herüber, nur, um dafür zu sorgen, daß wir nicht ruhig schlafen konnten, falls überhaupt, und daß wir keine Gelegenheit hatten, ungestört zu ruhen. Nach einiger Zeit waren die Eisengeschosse der weißen Männer aufgebraucht, und so mußten sie dazu übergehen, statt dessen gerundete Steine zu nehmen. Diese waren in der Wirkung nicht ganz so kräftig, doch dafür waren ihre umherfliegenden Splitter um so verheerender für die Leiber der Menschen.
Doch diejenigen, welche durch sie umkamen, fanden zumindest einen raschen Tod. Uns anderen schien ein langsamerer und qualvoll in die Länge gezogener Tod beschieden. Da die Vorräte in den Lagerhäusern so lange wie möglich halten sollten, gaben die mit der Verteilung beauftragten Männer den trockenen Mais nur in den allerkleinsten Mengen aus, welche uns gerade eben gestatteten, am Leben zu bleiben. Eine Zeitlang konnten wir auch noch die Hunde und das Geflügel auf der Insel verzehren und teilten die Fische, welche von Männern gefangen wurden, die sich des Nachts mit Netzen auf die Dammstraßen oder auf die Chinampa schlichen, um zwischen ihren Wurzeln Angelschnüre hinabzulassen. Doch zuletzt gab es keine Hunde und kein Federvieh mehr und selbst die Fische mieden die Nähe der Insel. Sodann verteilten und aßen wir alle bis auf die absolut ungenießbaren und die allerseltensten und schönsten Geschöpfe im Tierhaus, von denen die Wärter sich nicht trennen konnten. Diese letzten Tiere wurden am Leben erhalten – ja, wurden besser am Leben erhalten als ihre Wärter-, indem man ihnen die Leichen unserer Sklaven vorwarf, die verhungert waren.
Dann gingen wir dazu über, Ratten, Mäuse und Eidechsen zu fangen. Unsere Kinder, die wenigen, welche die Blattern überlebt hatten, entwickelten ein großes Geschick, fast jeden Vogel, welcher töricht genug war, sich auf der Insel niederzulassen, mit Schlingen zu fangen. Noch später schnitten wir die Blumen auf unseren Dachgärten, streiften die Blätter von den Bäumen und kochten sie wie Gemüse. Gegen das Ende suchten wir diese Gärten sogar nach eßbaren Insekten ab und schälten die Rinde von den Bäumen, kauten die Decken aus Kaninchenfell und Lederkleidung und die Kitzhautseiten von Büchern, um an Nahrhaftem aus ihnen herauszuholen, was herauszuholen war. Manche versuchten sogar, ihre Bäuche zu täuschen, indem sie sich einredeten, sie hätten gegessen, nachdem sie sie mit dem Bindekalk von zerstörten Gebäuden gefüllt hatten.
Die Fische blieben nicht aus Angst, gefangen zu werden fort, sondern hielten sich fern, weil das Wasser um die Insel herum faulig geworden war. Wiewohl wir mittlerweile wieder Regenzeit hatten, fiel der Regen nur zeitweise jeden Nachmittag. Wir stellten jeden verfügbaren Topf und jede Schüssel auf, um ihn aufzufangen; des weiteren hängten wir Stoffe auf, um diese auszuwringen, wenn sie sich vollgesogen hatten, doch trotz all unserer Mühen gab es selten mehr als einen kleinen Schluck frisches Regenwasser für jeden ausgetrockneten Mund. Infolgedessen gewöhnten wir uns, nachdem wir unseren anfänglichen Ekel überwunden hatten, daran, das brackige Wasser des Sees zu trinken. Doch da wir inzwischen keine Möglichkeit mehr hatten, die Abfälle und die menschlichen Exkremente zu sammeln und fortzuschaffen, gelangten diese Dinge in die Kanäle und durch sie in den See. Cuautémoc befahl, daß Leichen nur auf der Westseite ins Wasser geworfen werden dürften, da dort die größere Wasserfläche war und dieses Wasser durch die vorherrschenden Ostwinde mehr oder weniger ständig umgewälzt wurde; er hoffte, das Wasser auf dieser Seite weniger zu verseuchen als das andere. Aber die Abfälle und die verwesenden Leichen verseuchten das Wasser auf jeder Seite der Insel immer von neuem. Da wir es immer noch trinken mußten, wenn der Durst uns dazu trieb, seihten wir es vorher durch Tücher und kochten es hinterher ab. Gleichwohl brachte es uns alle Qualen von Durchfällen und Krämpfen. Viele von unseren älteren Leuten und den kleinen Kindern starben nur daran, daß sie dieses faulige Wasser tranken.
Eines Abends, als er nicht mehr länger zusehen konnte, wie sein Volk litt, rief Cuautémoc die gesamte Bevölkerung der Stadt auf Dem Herzen
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