Der Azteke
Der Einen Welt zusammen. Die Kanonen schwiegen gerade, und ich glaube, jeder, der noch gehen konnte, war dort. Wir standen um die Löcher dessen herum, was einst das glatte Marmorpflaster des Großen Platzes gewesen war, umgeben von den Trümmern dessen, was einst die gewellte Schlangenmauer gewesen war, und der Verehrte Sprecher sprach zu uns von der Höhe dessen herab, was von der Treppe der Großen Pyramide noch geblieben war.
»Wenn Tenochtítlan noch ein wenig länger ausharren soll, darf es keine Stadt mehr sein, sondern eine Festung, und eine Festung muß von jenen bemannt werden, welche kämpfen können. Ich bin stolz auf die Treue und das Durchhaltevermögen, welche mein ganzes Volk bewiesen hat, doch ist die Zeit gekommen, wo ich euch voller Bedauern bitten muß, eure Treue aufzugeben. Ein Lagerhaus ist bis jetzt noch nicht geöffnet worden, aber nur ein einziges …«
Die versammelte Menge brach weder in Hochrufe aus noch schrien sie irgendwelche Forderungen. Sie murmelten nur, doch zusammen ergab dies Gemurmel einen Laut, wie das hungrige Knurren eines sehr großen Magens.
»Wenn ich dieses Lagerhaus aufmache«, fuhr Cuautémoc fort, »wird der Mais an alle, die kommen, gleichmäßig ausgeteilt werden. Nun kann also vielleicht jeder, der noch in der Stadt geblieben ist, eine letzte karge Mahlzeit erhalten. Oder es sollte vielleicht ausreichen, unseren Kriegern den Hunger etwas besser zu stillen und ihnen Kraft zu geben, bis zum Ende zu kämpfen, wann dieses Ende nun kommt und wie es auch aussehen mag. Ich werde euch nicht befehlen, mein Volk. Ich bitte euch nur, die Wahl zu treffen und euch zu entscheiden.«
Die Menschen sagten überhaupt nichts.
Er fuhr fort: »Ich habe heute abend Brücken über die Durchfahrten in der nördlichen Dammstraße schlagen lassen, man kann also hinübergehen. Argwöhnisch wacht der Feind auf der anderen Seite und zerbricht sich den Kopf darüber, was das zu bedeuten haben mag. Ich habe es getan, damit alle von euch, die fortkönnen und wollen, das auch tun können. Ich habe keine Ahnung, was euch drüben in Tepeyáca erwartet – Essen und Erleichterung oder der Blumentod. Aber ich bitte euch, die ihr nicht mehr kämpfen könnt: ergreift die Gelegenheit, Tenochtítlan zu verlassen. Ihr laßt uns nicht im Stich, es ist auch kein Eingeständnis einer Niederlage, und wenn ihr geht, so ist das keine Schande. Im Gegenteil, ihr setzt unsere Stadt dadurch nur in die Lage, dem Feind noch ein wenig länger zu trotzen. Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Keiner ging in Eile oder auch nur gern, alle gingen in Tränen und Kummer, doch erkannten sie an, daß Cuautémocs Bitte gerechtfertigt sei, und in dieser einen Nacht zogen alle alten und ganz jungen Menschen aus Tenochtítlan fort, alle Kranken, Verkrüppelten und Bresthaften, die Priester und Tempeldienerinnen, alle, welche im Kampf nicht mehr von Nutzen sein konnten. Sie trugen Bündel unterm Arm oder Lasten an Stirnriemen, nahmen ihre geliebtesten Habseligkeiten mit, welche sie im Fortgehen noch ergreifen konnten, sie zogen aus allen vier Stadtteilen Tenochtítlans gen Norden und trafen sich in der Gegend des Markts von Tlaltelólco, bildeten dort einen Zug und zogen über die Dammstraße. An ihrem Nordende wurden sie nicht mit Donner und Blitz empfangen. Wie ich später erfuhr, war den weißen Männern auf der anderen Seite ihre Ankunft einfach gleichgültig, und für die Texcaltéca, welche diese Stellung besetzt hielten, waren diese wankenden Schutzsuchenden viel zu ausgemergelt, sie bei einer Siegesfeier zu opfern, und die Bewohner von Tepeyáca – wiewohl selbst Gefangene der Besatzungsmächte – hießen sie mit Nahrung und frischem Wasser willkommen und boten ihnen Unterkunft.
Zurück blieben in Tenochtítlan Cuautémoc, die anderen Edelleute seines Hofes und sein Staatsrat, die Frauen und Kinder des Verehrten Sprechers und einiger anderer Edelleute, etliche Heilkundige und Wundärzte sowie sämtliche noch kampffähigen Ritter und Krieger – und ein paar eigensinnige alte Männer, darunter ich, welche vor der Belagerung in so gutem Gesundheitszustand gewesen waren, daß sie bis jetzt noch nicht ernstlich unter den Entbehrungen gelitten hatten und daher nötigenfalls immer noch kämpfen konnten. Außerdem blieben die Kräftigen und Gesunden unter den jungen Frauen zurück, welche gleichfalls noch von Nutzen sein konnten – und eine ältere Frau, die es trotz all meines Drängens ablehnte, ihr Krankenlager zu
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