Der Azteke
entfernt wir unsere spitzen Pfähle eingerammt hatten, sich immer in gehöriger Entfernung.
Dann fanden Cortés' Landtruppen die Kanonen, welche wir in der Traurigen Nacht in den See geworfen hatten – so schwere Dinge konnten ja nicht weit geworfen werden – und begannen, sie zu bergen. Leider hatte das Wasser den verfluchten Dingern nichts anhaben können, wie wir gehofft hatten. Sie brauchten nur vom Schlick gereinigt, getrocknet und neu geladen zu werden, und sie waren wieder einsatzbereit. Nach der Bergung ließ Cortes die ersten dreizehn auf seinen Kriegsbooten montieren, und diese Boote bezogen Stellungen vor den Städten, um welche seine Truppen noch kämpften, und trugen Blitz und Donner und einen Regen von männertötenden Geschossen hinüber. Unfähig, sich noch länger zu verteidigen, nachdem sie gleichzeitig von vorn und von den Seiten bestürmt wurden, mußten auch diese Städte sich ergeben, und als die letzte – Tlácopan, Hauptstadt der Tecpanéca, die drittstärkste Bastion des Dreibunds – fiel, trafen die beiden Arme von Cortés' Landstreitkräften aufeinander und schloß sich der Ring endgültig.
Jetzt wurden die Kriegsboote nicht mehr gebraucht die Truppen an Land zu unterstützen, doch gleich am nächsten Tag fuhren sie wieder hinaus auf den See und schossen ihre Kanonen ab. Wir auf der Insel konnten sie beobachten, und eine Zeitlang begriffen wir nicht was sie eigentlich vorhatten, denn sie zielten weder auf uns noch auf irgendwelche erkennbaren Ziele auf dem Festland. Dann jedoch, als wir den zerstörerischen Aufprall der Kanonenkugeln hörten und sahen, begriffen wir. Die schweren Geschosse zertrümmerten erst den alten Aquädukt von Chapultépec und danach den von Ahuítzotl erbauten von Coyohuácan.
Die Weibliche Schlange sagte: »Die Aquädukte waren unsere letzte Verbindung mit dem Festland. Jetzt treiben wir hilflos wie ein Boot ohne Ruder auf stürmischer See voll böser Ungeheuer. Wir sind umzingelt ungeschützt und sind ihnen hilflos preisgegeben. Jeder andere Stamm in der Nähe, welcher sich nicht freiwillig den weißen Männern angeschlossen hat, ist von ihnen überrannt worden und tut jetzt, was sie verlangen. Bis auf die geflüchteten Krieger an unserer Seite trotzt niemand außer uns – den Mexíca allein – Der ganzen Einen Welt.«
»Wie es sich geziemt«, erklärte Cuautémoc ruhig. »Sollte unser Tonáli es wollen, daß wir zuletzt nicht den Sieg davontragen, soll Die ganze Eine Welt sich auf ewige Zeiten daran erinnern – daß die Mexíca die letzten waren, welche besiegt wurden.«
»Aber Verehrter Sprecher«, gab die Weibliche Schlange zu bedenken, »die Aquädukte waren auch unsere letzte Verbindung mit dem Leben. Möglich, daß wir eine Zeitlang ohne frische Nahrungsmittel weiterkämpfen können, aber wie lange gelingt uns das ohne Trinkwasser?«
»Tlacótzin«, sagte Cuautémoc sanft wie ein Lehrer, welcher sich an einen zurückgebliebenen Schüler wendet »es hat eine Zeit gegeben – viele Schock Jahre ist es her –, da waren die Mexíca auch ganz auf sich allein gestellt, hier, genau an dieser Stelle, ungewünscht und verachtet von allen anderen Völkern. Sie hatten nur Unkraut zu essen und nur das brackige Wasser des Sees zu trinken. Unter den elenden und hoffnungslosen Umständen damals hätten sie sich den sie umgebenden Feinden beugen können; sie wären in alle Winde zerstreut worden, aufgesogen und von der Geschichte vergessen. Aber sie taten es nicht. Sie blieben aufrecht stehen, und sie blieben, und dann bauten sie all dies hier auf!« Mit weitausholender Geste umfaßte er die ganze Pracht Tenochtítlans. »Wie immer das Ende aussehen mag, jetzt kann die Geschichte sie nicht mehr vergessen. Die Mexíca standen aufrecht da. Die Mexíca stehen aufrecht da. Die Mexíca werden aufrecht stehen, bis sie nicht mehr stehen können.«
Nach den Aquädukten nahmen die Kanonen sich unsere Stadt zum Ziel – diejenigen, welche wieder auf dem Festland aufgestellt worden waren, und diejenigen, welche auf den Kriegsbooten montiert waren und ständig um die Insel herumfuhren. Die Eisenkugeln, welche aus Chapultépec herübergeflogen kamen, waren diejenigen, welche den meisten Schaden anrichteten und am meisten Angst machten, denn die weißen Männer hatten einige der Kanonen ganz bis oben auf den Kamm des Hügels hinaufgeschafft und konnten die Kugeln von dort aus in hohem Bogen fliegen lassen, daß sie nahezu senkrecht auf Tenochtítlan herniederfielen, gleich
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