Der Azteke
Nachdem ich dieselben Sätze so viele Male gedolmetscht hatte, bekam Cortés einen Tobsuchtsanfall. Er befahl seinen Soldaten, drei große Schalen mit Glut aus der Küche herbeizuschaffen und zwang die drei Edelleute der Mexíca, mit den nackten Füßen in diesen glühenden Kohlen zu sitzen, während er dieselben Fragen noch einmal stellte und sie – der Martern wegen mit den Zähnen knirschend – dieselben Antworten gaben. Zuletzt warf Cortés die Hände in einer Gebärde des Abscheus in die Höhe und stapfte hinaus. Die drei richteten sich vorsichtig von ihren Stühlen auf, traten aus den Schalen heraus und machten sich mit größter Vorsicht auf, in ihre Quartiere zurückzukehren. Die beiden alten Männer und der jüngere taten ihr möglichstes, sich gegenseitig zu stützen und humpelten auf ihren brandblasenbesetzten und geschwärzten Füßen, und ich hörte, wie einer der älteren stöhnte:
»Ayya, Verehrter Sprecher, warum sagt Ihr ihnen nicht irgend etwas anderes? Egal, was? Es tut unerträglich weh!«
»Schweig!« fuhr Cuautémoc ihn an. »Glaubst du vielleicht, ich erginge mich im Augenblick in einem Lustgarten?«
Wiewohl ich Cortés und mich und unsere Verbindung verabscheute, enthielt ich mich jeder Tat oder Bemerkung, welche geeignet gewesen wäre, sein Mißfallen zu erregen und mich in meiner heiklen Lage zu gefährden, denn nach ein oder zwei Jahren gab es viele von den Meinen, welche mich mit Freuden als Mitarbeiter von Cortés abgelöst hätten und auch in der Lage gewesen wären, das zu tun. Immer mehr Mexíca und Angehörige anderer Stämme – ob sie nun zum Dreibund gehörten oder nicht – beeilten sich, Spanisch zu lernen und sich taufen zu lassen. Das geschah weniger aus Unterwürfigkeit, als vielmehr aus Ehrgeiz, wo nicht gar aus Notwendigkeit. Cortés hatte schon früh verkünden lassen, daß kein »Indianer« eine höhere Stellung als die eines einfachen Arbeiters bekleiden könne, es sei denn, er sei gläubiger Christ und spreche die Sprache der Eroberer.
Ich selber hieß bei den Spaniern bereits Don Juan Damasceno, und Malintzin war Doña Marina, und die Konkubinen der anderen Spanier waren Doña Luise und Doña Maria Immaculada und dergleichen. Selbst-einige Edelleute erlagen der Versuchung, der Vorteile teilhaftig zu werden, welche sie genossen, wenn sie Christen wurden und spanisch sprachen; die ehemalige Weibliche Schlange zum Beispiel wurde zu Don Juan Tlácotl Velásquez. Doch wie zu erwarten stand, verschmähten die meisten der ehemaligen Pipiltin – allen voran Cuautémoc – Religion und Sprache und Namen der weißen Männer. So bewundernswert ihre Einstellung auch sein mochte, sie erwies sich als Fehler, denn nun blieb ihnen nur noch ihr Stolz. Dafür belagerten die Angehörigen der untersten Klassen sowie die Niedrigstgeborenen der Mittelschicht und sogar die Sklaven der am allertiefsten stehenden Tlacótli-Klasse die Kapläne und Missionsbrüder, um im Christentum unterwiesen und mit spanischen Namen getauft zu werden. Sie waren es auch, welche – um Spanisch lernen zu können – jenen spanischen Soldaten, welche gebildet oder klug genug waren, sie zu unterrichten, eifrig ihre Schwestern und Töchter in Bezahlung gaben.
So kam es, daß das Mittelmaß und der Bodensatz der Gesellschaft, der keinerlei eingeborenen Stolz über Bord werfen mußte, sich von der Fronarbeit befreite und sich als Aufseher von Fronarbeitern einsetzen ließ – jenen, welche früher ihre Vorgesetzten, ihre Anführer und sogar ihre Besitzer gewesen waren. Diese Emporkömmlinge oder »Weißen-Nachäffer«, wie andere von uns sie nannten, erhielten schließlich Stellungen in der zunehmend verzwickten Verwaltung der Stadt und wurden zu Vorstehern weiter entfernt liegender Gemeinden, ja, sogar zu Gouverneuren etlicher unbedeutender Provinzen gemacht. Man sollte das als lobenswert betrachten: daß ein Niemand zu einer bedeutenden Persönlichkeit aufsteigen konnte – nur kann ich mich nicht eines einzigen entsinnen, welcher seine hohe Stellung zum Guten von irgend jemand anders genutzt hätte, außer für sich selbst.
Ein solcher Mann war plötzlich allen, welche zuvor seine Vorgesetzten oder Ebenbürtigen gewesen waren, überlegen, und weiter reichte sein Ehrgeiz nicht. Ob er nun den Posten eines Provinzgouverneurs erlangte oder nur den eines Aufsehers bei irgendeinem Bauvorhaben, er wurde zu einem Despoten für alle, die unter ihm standen. Der Aufseher konnte als Faulpelz oder Trunkenbold jeden
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