Der Azteke
herauspressen konnten, und unsere Frauen – wenn sie nicht offen von den weißen Soldaten belästigt und vor den Augen aller geschändet wurden – wurden als Träger und Boten zum Frondienst gezwungen, und sogar kleine Kinder mußten beim Mörtelmischen Hand anlegen.
Das wichtigste kam selbstverständlich zuerst an die Reihe. Die zerstörten Aquädukte wurden ausgebessert und dann die Grundmauern gelegt zu dem, was später eure Kathedralkirche werden sollte. Direkt davor wurden Schandpfahl und Galgen errichtet. Das waren die ersten Dinge, welche funktionierten in der neuen Ciudad de Mexíco, und sie wurden viel gebraucht, um uns zu unablässiger und gewissenhafter Arbeit anzuspornen. Diejenigen, welche bei der Arbeit nachlässig waren, wurden am Galgen aufgeknüpft, oder sie wurden mit dem G für Kriegsgefangene auf der Wange gebrandmarkt und dann an den Schandpfahl gestellt, damit die Fremden sie mit Steinen und Pferdeäpfeln bewerten könnten, oder sie wurden durch die Peitschenhiebe der Aufseher gefügig gemacht. Doch diejenigen, welche arbeiteten, starben genausooft wie die Säumigen, etwa daran, daß sie gezwungen wurden, Steine zu heben, die so schwer waren, daß es ihnen die Eingeweide zerriß.
Ich war wesentlich günstiger dran als die meisten, denn Cortés gab mir Arbeit als Dolmetsch. Wo es so viele Befehle und Anweisungen von den Baumeistern an die Arbeiter weiterzugeben galt und bei all den Gesetzen, Proklamationen, Erlassen und Predigten, welche für das Volk übersetzt werden mußten, war mehr zu tun, als Malintzin allein hätte schaffen können, und der Mann Aguilar, welcher bis zu einem gewissen Grade hätte helfen können, war vor langer Zeit in irgendeiner Schlacht gefallen. Deshalb stellte Cortés mich ein und zahlte mir sogar einen kleinen Lohn in spanischer Münze – und brachte mich und Béu überdies auch noch in der prachtvollen Residenz unter, dem einstigen Landsitz Motecuzómas in der Nähe von Quaunáhuac, welchen er für sich und Malintzin sowie für seine ranghöchsten Offiziere und ihre Konkubinen beschlagnahmt hatte und in welchen er auch Cuautémoc und seine Familie und Höflinge unter den Augen hatte.
Vielleicht sollte ich um Verzeihung bitten, wiewohl ich nicht weiß, bei wem, daß ich Arbeit bei den weißen Männern annahm, statt lieber trotzig zu sterben. Aber da die Schlachten alle geschlagen und wir darin nicht untergegangen waren, schien es mir in meinem Tonáli bestimmt, daß ich noch ein wenig länger wenigstens ums Überleben weiterkämpfen sollte. Einst hatte ich den Auftrag erhalten: »Stehe aufrecht! Harre aus! Erinnere dich!«, und genau das zu tun war ich entschlossen.
Eine Zeitlang bestand der größte Teil meiner Dolmetschertätigkeit darin, Cortés' unablässige und eindringliche Forderungen zu dolmetschen, zu erfahren, was aus dem verschwundenen Schatz der Mexíca geworden sei. Wäre ich ein jüngerer Mann und imstande gewesen, irgend etwas anderes zu tun, mit dem ich mich und meine kränkelnde Frau hätte über Wasser halten können, ich hätte auf der Stelle diese erniedrigende Arbeit niedergelegt. Ich mußte nämlich zusammen mit Cortés und seinen Offizieren sitzen, als wäre ich einer von ihnen, während sie meine Freunde, die Edelleute, einschüchterten und beleidigten und sie »verdammte, lügnerische, habgierige, verräterische und störrische Indianer« hießen. Ganz besonders schämte ich mich, als ich an den wiederholten Verhören des Uey-Tlatoáni Cuautémoc teilnehmen mußte, welchen Cortés nicht mehr mit salbungsvollen Worten anredete und dem er auch nicht mehr die geringste Hochachtung entgegenbrachte. Auf Cortés' wiederholte Fragen konnte oder wollte Cuautémoc mit nichts anderem antworten als:
»Nach bestem Wissen, Capitán-General, kann ich nur sagen, daß mein Vorgänger Cuitláhuac den Schatz im See hat liegen lassen, wo Ihr ihn hineingeworfen habt.«
Woraufhin Cortés fauchte: »Ich habe meine und eure besten Schwimmer hinuntergeschickt – sie finden nichts anderes als Schlamm!« Woraufhin Cuautémoc nur immer wieder entgegnen konnte oder wollte: »Der Schlamm ist weich. Eure Kanonen haben den ganzen See Texcóco erzittern lassen. Alle Dinge, die so schwer sind wie Gold, müssen immer tiefer in den Schlick hineingesunken sein.«
Am meisten schämte ich mich an dem Tag, da Cuautémoc und zwei der alten Weisen Männer vom Staatsrat, welche ihn zu dieser Sitzung des Verhörs begleitet hatten, der »Überredung« unterworfen wurden.
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