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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Arbeiter anzeigen, welcher nicht, vor ihm katzbuckelte oder ihn bestach. Er konnte diesen Arbeiter zu allem verurteilen, vom Brandmarken auf der Wange bis zum Aufgeknüpftwerden am Galgen. Der Gouverneur konnte ehemalige Edelleute und Edeldamen zu Müllträgern und Straßenfegern erniedrigen und ihre Töchter zu dem zwingen, was ihr Spanier die »Rechte der Señorío« nennt. Gleichwohl muß ich in aller Gerechtigkeit sagen, daß die neue Adelsschicht der spanischsprechenden Christen sich allen ihren Landsleuten gegenüber genauso verhielt. So wie sie die ehemals höchststehenden Klassen demütigten und quälten, schurigelten sie die Unterschicht, welcher sie selbst entsprungen waren. Sie behandelten alle – mit Ausnahme ihrer eigenen Vorgesetzten, versteht sich – weit schlechter, als noch der niedrigste Sklave früher behandelt worden war. Zwar betraf mich diese vollkommene Umkrempelung der Gesellschaft physisch nicht, doch was mich bestürzte, war die Erkenntnis, wie ich es Béu gegenüber einmal ausdrückte, daß »diese Weißen-Nachäffer es sind, welche unsere Geschichte schreiben werden«.
    Wiewohl ich selbst für mich in jenen Jahren eine angenehme Nische in der neuen Gesellschaft Neuspaniens gefunden hatte, ist mein Zögern, sie zu verlassen, vielleicht ein wenig damit zu entschuldigen, daß ich meine Stellung bisweilen nutzen konnte, um anderen außer mir zu helfen. Zumindest gelegentlich, und wenn Malintzin oder einer von den später eingestellten Dolmetschern nicht dabei war, mich zu verraten, konnte ich meine Übersetzung dergestalt formulieren, daß die Eingabe eines Bittstellers, welcher um eine Gunst bat, dringlicher klang, oder die Bestrafung eines angeklagten Missetäters gemildert wurde. Da Béu und ich freie Kost und Logis genossen, konnte ich meinen Lohn sparen für den Tag, da ich – vielleicht durch eigene Schuld oder weil Béus Zustand sich merklich verschlechterte – meiner Stellung verlustig gehen und ich aus dem Palast von Quaunáhuac hinausgejagt werden würde.
    Wie es sich ergab, gab ich meine Stellung aus freien Stücken auf, und das kam so: Im dritten Jahr nach der Conquista wurde der ungeduldige Mann Cortés seiner nunmehr alles andere als abenteuerlichen Rolle als Verwaltungsbeamter, welcher sich mit vielen Kleinigkeiten befassen und als Schiedsrichter in vielen nichtigen Streitereien dienen mußte, überdrüssig. Ein großer Teil der Ciudad de Mexíco war inzwischen wieder aufgebaut worden, und was noch nicht fertig war, sollte bald fertig werden. Damals wie heute trafen jedes Jahr rund tausend neue weiße Männer in Neuspanien ein – die meisten von ihnen mit ihren Frauen –, ließen sich im oder in der Nähe des Seengebietes nieder, schufen sich auf den besten Ländereien ihr eigenes Kleinspanien, bemächtigten sich unserer kräftigsten Leute als »Kriegsgefangene« und ließen dieses Land bearbeiten. All diese Neuankömmlinge festigten ihre Stellung als Oberherren so rasch, daß jedes Aufbegehren gegen sie undenkbar war. Aus dem Dreibund war endgültig Neuspanien geworden, und es funktionierte, vermutete ich, so gut wie Cuba oder jede andere spanische Kolonie; die Eingeborenenbevölkerung wurde unterdrückt und ergab sich in ihr Schicksal, wenn sie in dieser Unterdrückung auch nicht gerade glücklich oder zufrieden war; und Cortés schien zuversichtlich, daß seine Unterbefehlshaber und die von ihm ernannten Weißen-Nachäffer in der Lage waren, den Zustand so zu erhalten, wie er war. Ihn selbst dürstete es, neue Lande zu erobern, oder – genauer gesagt – er wollte mehr von den Landen in Augenschein nehmen, welche er bereits als die seinen betrachtete.
    »Capitán-General«, sagte ich zum ihm, »Ihr kennt bereits das Land zwischen der Ostküste und hier. Die Lande zwischen hier und der Westküste unterscheiden sich nicht sonderlich von diesen, und im Norden erstrecken sich zumeist öde Gebiete, die anzusehen sich nicht lohnt. Aber im Süden – ayyo, südlich von hier – ragen gewaltige Bergketten und grüne Ebenen und eindrucksvolle Wälder und noch weiter im Süden der Dschungel, welcher ehrfurchtgebietend und weg- und steglos und unendlich gefährlich ist, gleichwohl jedoch so voll von Wunderbarem, daß kein Mann sein Leben beschließen sollte, ehe er sich nicht einmal dort hingewagt hat.«
    »Dann auf nach Süden!« rief er, als ob er einer Truppe befehle, in diesem Augenblick dorthin auszurücken. »Du bist dort gewesen? Du kennst das Land? Du sprichst seine

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