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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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der Vergrößerung der Insel einfach beiseite geschoben wurden. Doch selbst wenn Cortés all die Wertgegenstände der Pochtécatl in die Hand bekommen hätte, wäre das selbstverständlich alles zusammen weit weniger gewesen als der immer noch verlorene Schatz; gleichwohl hätte das ein Geschenk ergeben, welches seinen König Carlos erstaunt und entzückt hätte. So beobachtete ich das Zerstörungswerk dieses Tages mit einer gewissen ironischen Genugtuung, wenngleich ich am Ende dieses Tages ein armer alter Mann war, ärmer noch als das kleine Kind, welches ich gewesen war, als ich Tenochtítlan zum erstenmal gesehen hatte.
    Nun, das erging keinem Mexícatl anders, der damals noch am Leben war, unser Verehrter Sprecher nicht ausgenommen. Das Ende kam nicht lange danach, und es kam schnell. Wir waren seit ungezählten Tagen ohne jeden Happen zu essen gewesen, und unsere Fähigkeit, überhaupt zu gehen, ja, selbst miteinander zu reden, war derart geschwächt, daß wir ganz stumpf geworden waren. Cortés und sein Heer – so erbarmungslos, zahlreich und gefräßig wie jene Ameisen, welche ganze Wälder leerfressen können – erreichten endlich den Marktplatz von Tlaltelólco und fingen an, die Pyramide dort abzutragen, was bedeutete, daß wir Flüchtlinge, die wir uns dort auf engstem Raum zusammendrängten und verbargen, kaum noch Platz hatten, bequem zu stehen. Gleichwohl, Cuautémoc wäre wohl auch dann noch stehengeblieben, wenn er auf einem Fuß hätte stehen müssen, doch nachdem ich und die Weibliche Schlange und einige andere Ratgeber unter uns beratschlagt hatten, gingen wir zu ihm und sagten:
    »Hoher Gebieter, wenn Ihr von den Fremden ergriffen werdet, fällt das ganze Volk der Mexíca mit Euch. Doch wenn Ihr entkommt, wird die Herrschaft dort sein, wo ihr hingeht. Selbst wenn jeder andere Mensch auf dieser Insel getötet oder gefangengenommen wird, wird Cortés die Mexíca nicht besiegt haben.«
    »Fliehen«, sagte er wie benommen. »Wohin? Und um was zu tun?«
    »Um nur mit Euren engsten Angehörigen und ein paar Eurer vornehmsten Edelleute in die Verbannung zu gehen. Es stimmt, daß wir keine vertrauenswürdigen Verbündeten mehr in den Landen ringsum haben. Aber es gibt fernere Lande, von denen Ihr Unterstützung bekommen könnt. Es mag lange dauern, ehe Ihr hoffen dürft, mit Macht und im Triumph wieder zurückzukehren, aber solange es auch dauern mag, die Mexíca werden immer noch unbesiegt sein.«
    »Welche ferneren Lande?« fragte er ohne große Begeisterung.
    Die anderen Edelleute blickten mich an, und ich sagte: »Aztlan, Verehrter Sprecher. Kehrt zurück zu unseren Anfängen.«
    Er starrte mich an, als ob ich wahnsinnig wäre. Doch dann erinnerte ich ihn daran, daß wir vor vergleichsweise kurzer Zeit unsere Bande mit unseren Vettern aus unserer allerersten Heimat erneuert hätten, und ich gab ihm eine Karte, welche ich gezeichnet hatte, um ihm den Weg dorthin zu zeigen. Ich fügte hinzu: »Ihr könnt eines herzlichen Willkommens gewiß sein, Hoher Gebieter. Als ihr Sprecher Tliléctic-Mixtli von hier fortging, hat Motecuzóma ihm einen Trupp unserer Krieger und eine Anzahl von Mexíca-Familien mitgegeben, welche geübt waren in allen modernen Künsten des Städtebaus. Vielleicht haben sie aus ihrem Aztlan schon ein kleines Tenochtítlan gemacht. Und wenn alles zu Ende ist, könnten die Azteca die Samenkörner sein, aus denen – wie schon einmal – ein ganzes neues und mächtiges Volk erwächst.«
    Es bedurfte schon wesentlich mehr an Überredung, um Cuautémoc zu bewegen, sich einverstanden zu erklären, doch möchte ich das nicht alles erzählen, denn es führte ohnehin zu nichts. Ich meine immer noch, daß der Plan durchaus hätte klappen können; er wurde gut vorbereitet und ausgeführt; doch die Götter beschlossen, daß nichts daraus werden sollte. Als die Dämmerung hereinbrach und die Kriegsboote mit ihrem Bombardement aufhörten, welches den ganzen Tag über angedauert hatte, und sich anschickten, zum Festland zurückzukehren, begleitete eine stattliche Anzahl von uns Cuautémoc und seine ausgewählten Gefährten hinunter ans Wasser. Alle stiegen in Kanus, und auf ein Zeichen hin ruderten die vielen Acáltin auf den See hinaus, alle gleichzeitig, doch jedes in eine andere Richtung, und ruderten schnell, daß es wie eine plötzliche Massenflucht von der Insel aussah. Das Acáli mit Cuautémoc und seinem verkleinerten Hof an Bord lief auf die kleine Festlandbucht zwischen Tenayuca und

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