Der Azteke
Angebot auszuschlagen.« Und jetzt wurde ihre Stimme ganz leise. »Und du tust es ja auch nur meinetwegen.«
»Unseretwegen.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Irgendwann mußten wir ja mal erwachsen werden.«
»Aber ich hatte immer gehofft, wir würden es zusammen tun.«
»Hoffen können wir immer. In Festzeiten wirst du nach Hause kommen. Dann werden wir zusammen sein. Und wenn du die Schule hinter dir hast – nun, vielleicht wirst du reich und mächtig? Du könntest ein Mixtzin werden, und ein Adliger kann heiraten, wen er will.«
»Worauf ich hoffe, ist ein tüchtiger Wortkundiger zu werden, Tzitzi. Das ist Ehrgeiz genug für mich. Und nur wenige Schreiber schaffen es, das - tzin an ihren Namen anzuhängen.«
»Nun … vielleicht schickt man dich zur Arbeit in eine abgelegene Acólhua-Provinz, wo man nicht weiß, daß du eine Schwester hast. Laß es mich nur wissen, und ich komme. Deine erkorene Braut von deiner Heimatinsel.«
»Aber das würde doch noch Jahre dauern«, wandte ich ein. »Und du näherst dich bereits jetzt dem heiratsfähigen Alter. In der Zwischenzeit kommt der verfluchte Pactli gleichfalls für die Ferien heim nach Xaltócan. Längst ehe ich mit meiner Ausbildung fertig bin, wird er zurückkehren und hier bleiben. Du weißt, was er will, und was er will, fordert er, und was er fordert, kann man ihm nicht abschlagen …«
»Abschlagen nicht, aber es vielleicht hinauszögern«, sagte sie. »Ich werde mein möglichstes tun, den Herrn Freude zu entmutigen. Und vielleicht besteht er gar nicht so hartnäckig auf seinen Forderungen« – mutig lächelte sie mich an –, »jetzt, wo ich einen Verwandten und Beschützer am mächtigeren Hof von Texcóco habe. Verstehst du? Du mußt gehen.« Ihr Lächeln geriet zu einem Zittern. »Die Götter wollen, daß wir eine Zeitlang getrennt sind, auf daß wir nicht für immer voneinander getrennt werden.« Das Lächeln wurde zag und immer zager, bis es ganz verschwunden war. Und sie weinte.
Das Acáli des Herrn Stark Knochen war aus Mahagoni, reich geschnitzt, mit einem fransenbesetzten Baldachin ausgestattet und geschmückt mit Jadezeichen und Federnwimpel, die seinen Rang verkündeten. Es fuhr an der unten am See gelegenen Stadt Texcóco vorüber – die ihr Spanier heute San Antonio de Padua nennt –, fuhr noch etwa Ein-Langer-Lauf in südlicher Richtung weiter und hielt auf einen mittelgroßen Berg zu, der unmittelbar vom Seeufer aufstieg. »Texcotzinco«, sagte die Weibliche Schlange, das erste Wort überhaupt, dessen er mich während der gesamten vormittäglichen Fahrt von Xaltócan hierher würdigte. Ich kniff die Augen zusammen, um zum Berg hinüberzuspähen, denn auf der anderen Seite lag der Landpalast von Nezahualpíli.
Der Große Einbaum glitt an den solide gebauten Landesteg heran, die Ruderer nahmen ihre Ruder hoch, und der Steuermann sprang an Land, um das Boot festzumachen. Ich wartete, bis die Bootsleute Herrn Stark Knochen aus dem Boot herausgeholfen hatten, kletterte dann selbst auf den Landesteg hinauf und klemmte mir den Weidenkorb unter den Arm, in dem ich meine Habseligkeiten verstaut hatte. Die wortkarge Weibliche Schlange zeigte auf eine Steintreppe, die sich vom Landesteg in die Höhe wand, und sagte: »Dort hinauf, junger Mann« – die einzigen weiteren Worte, die er an diesem Tag an mich richtete. Ich zögerte und überlegte, ob die Höflichkeit es wohl erheischte, daß ich auf ihn wartete, doch überwachte er persönlich noch, daß all die vielen Geschenke aus dem Acáli ausgeladen wurden, welche Herr Rot Reiher bei dieser Gelegenheit an Nezahualpíli geschickt hatte. Deshalb schulterte ich meinen Korb und stieg mühselig die Treppe hinauf.
Einige der Stufen waren Steinplatten, von Menschenhand hier eingelassen, andere waren aus dem lebenden Fels herausgemeißelt worden. Nach der dreizehnten Stufe gelangte ich auf einen Absatz, auf welchem eine kleine Bank zum Verschnaufen sowie die Statue eines kleinen, mir unbekannten Gottes aufgestellt waren. Die nächste Treppe führte schräg von diesem Treppenabsatz aus weiter in die Höhe. Wieder dreizehn Stufen, und abermals ein Treppenabsatz. Auf diese Weise stieg ich im Zickzack hügelan, um dann – bei der zweiundfünfzigsten Stufe – auf eine ebene Terrasse hinauszutreten, ein großes Geviert, welches aus dem Hang des Berges herausgehauen worden war und in der ganzen Pracht eines üppigen Blumengartens prangte. Nach dieser zweiundfünfzigsten Stufe trat ich auf einen
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