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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Wind ist es auch, der dir die Erfüllung deines Herzenswunsches gewährt.«
    Tzitzi machte ein besorgtes Gesicht und meinte: »Aber angenommen, es ist nur eine List? Angenommen, Texcóco braucht zufällig nur einen Xochimique von einer bestimmten Größe und einem bestimmten Alter für irgendein besonderes Opfer …«
    »Nein«, erklärte unsere Mutter. »Mixtli ist weder schön noch anmutig oder tugendhaft genug, als daß man ihn besonders für irgendeine Zeremonie ausgesucht haben könnte, von der ich weiß.« Das klang so, als sei sie verstimmt, daß ihr diese Angelegenheit aus den Händen genommen worden war. »Gleichwohl hat die ganze Sache etwas höchst Verdächtiges. Während er sich mit diesen Bilderschriften abmühte und träge auf den Chinámpa schaukelte, hat Mixtli nichts tun können, auch nur die Aufmerksamkeit eines Sklavenhändlers zu erregen, geschweige denn, die eines Königshofes.«
    Ich sagte: »Nach dem, was im Palast gesprochen wurde, und nach dem bißchen Geschriebenen, das Herr Stark Knochen bei sich hatte, glaube ich, kann ich mir schon einiges denken. Nicht einem Gott bin ich in jener Nacht an der Wegkreuzung begegnet, sondern einem Acólhuatl-Wanderer, vielleicht einem Höfling oder gar Nezahualpíli persönlich; wir haben nur einfach gedacht, es sei Nacht Wind. In den Jahren, die seither vergangen sind, hat Texcóco mich immer im Auge behalten, wenn ich auch nicht weiß, warum. Doch wie dem auch sei, es sieht so aus, als sollte ich eine Calmécac in Texcóco besuchen, wo ich die Kunst der Wortkunde erlernen soll. Ich werde Schreiber werden, wie ich es mir immer gewünscht habe. Zumindest«, schloß ich mit einem Achselzucken, »nehme ich das an.«
    »Und das alles nennst du Zufall«, sagte mein Vater unnachgiebig streng. »Nein, Sohn Mixtli – genausogut ist es möglich, daß du Nacht Wind begegnet bist, einem Gott, den du für einen Sterblichen gehalten hast. Genauso wie Menschen, können auch Götter verkleidet und unerkannt umherwandern. Jedenfalls hat sich diese Begegnung für dich zum Guten ausgewirkt, und so könnte es nicht schaden, Nacht Wind deinen Dank abzustatten.«
    »Du hast recht, Vater Tepetzálan. Das werde ich tun. Ob Nacht Wind nun mittelbar oder unmittelbar mit der Sache zu tun hat, er vermag Herzenswünsche zu erfüllen, wenn er will, und es ist nun mal mein Herzenswunsch, der anfängt in Erfüllung zu gehen.«
    »Freilich nur einer meiner Herzenswünsche«, sagte ich zu Tzitzi, als wir endlich einen Augenblick unter vier Augen zusammen waren. »Wie soll ich den Klang leisen Glöckchengeläuts verlassen?«
    »Wenn du auch nur einen Funken Verstand besitzt, gehst du tanzend und frohlockend von hier fort«, sagte sie praktisch, wie Frauen nun einmal sind; nur vermochte ich kein bißchen Frohlocken aus ihrer Stimme herauszuhören. »Du kannst nicht dein Leben damit zubringen, Unkraut zu jäten, Mixtli, und nutzlosen Träumereien nachhängen wie etwa der, ein Händler zu werden. Wie immer es dazu gekommen sein mag, jedenfalls steht dir jetzt eine Zukunft offen, und zwar eine strahlendere, als sie jemals einem Xaltocaner Macehuáli geboten worden ist.«
    »Aber wenn Nacht Wind oder Nezahualpíli oder wer weiß ich sonst mir diese Gelegenheit bietet – es könnten auch noch andere, noch bessere kommen. Ich habe immer davon geträumt, nach Tenochtítlan zu gehen, nicht nach Texcóco. Ich kann das Angebot immer noch ausschlagen – das hat Herr Stark Knochen ausdrücklich gesagt – und abwarten. Warum sollte ich das eigentlich nicht tun?«
    »Weil du gesunden Menschenverstand besitzt, Mixtli! Als ich noch das Haus des Manierenlernens besuchte, hat uns die Aufseherin der Mädchen einmal gesagt, Tenochtítlan möge vielleicht der starke Arm des Dreibunds sein, der Kopf jedoch, das Gehirn, sei Texcóco. Am Hofe von Nezahualpíli herrscht mehr als nur Pracht und Macht. Man blickt dort auf ein langes Erbe von Dichtung, Kultur und Weisheit zurück. Außerdem hat die Aufseherin gesagt, von allen Ländern, in denen man Nahuatl spreche, sprächen die Bewohner von Texcóco die reinste Form unserer Sprache. Welch bessere Bestimmung könnte es für einen angehenden Gelehrten geben? Du mußt hingehen, und du wirst hingehen. Du wirst studieren, du wirst lernen, und du wirst dich hervortun. Und wenn du erst einmal wirklich die Gönnerschaft des Verehrten Sprechers errungen hast – wer weiß, was er noch alles Großes mit dir vorhat? Du weißt, es ist unsinnig, wenn du davon sprichst, das

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