Der Azteke
fort.
Vollführte ein Mann die Wurfbewegung, glitten sämtliche inneren Schilfrohre aus dem dicksten, das er in der Hand hielt, heraus und es entstand ein langes schlankes, gebogenes Rohr, dessen Spitze sich mit den Spitzen all der anderen traf. Die tanzenden Frauen tanzten wie unter einer zarten Käfigkuppel aus Schilfrohr, und abermals ließ die Menge der Zuschauer ein bewunderndes »Ho-oo-ooo« vernehmen. Mit einer gekonnten Handbewegung ließen die Männer daraufhin die Rohrlängen wieder ineinander zurückgleiten in ihre Hand. Dieses geschickte Kunststück wurde in unterschiedlichen Mustern immer und immer wiederholt; so bildeten die Männer zum Beispiel einmal zwei Reihen, und jeder warf sein Rohr, daß es hinausglitt und sich mit der Spitze dessen berührte, der ihm gegenüberstand und ein Bogengang entstand, durch welchen die Frauen hindurchtanzten.
Als der Schilfrohrtanz vorüber war, kam es zu einem lustigen Zwischenspiel. Alle jene alten Leute, die an irgendeiner Krankheit der Knochen oder der Gelenke litten, kamen auf den feuererhellten Platz herausgeschlurft und gehinkt. Ihre Gebrechen bewirken, daß sie stets mehr oder weniger gebückt und verkrüppelt sind, doch aus irgendeinem Grunde ist das während der Regenmonde besonders schmerzhaft. Daher mühten diese alten Männer und Frauen sich ab, an dieser Feier teilzunehmen und vor Tlaloc zu tanzen in der Hoffnung, daß er diesmal beim Einsetzen der Regenzeit Mitleid mit ihnen habe und ihre Schmerzen lindere.
Ihnen war es mit dem, was sie beabsichtigten, selbstverständlicherweise ernst, doch ihr Tanz wirkte nur grotesk, und so fingen die Zuschauer an, erst leise zu kichern und dann schließlich lauthals zu lachen, bis die Tänzer selber merkten, wie lächerlich sie wirkten. Daraufhin begann einer nach dem anderen, den Possenreißer zu spielen und sein Gehumpel oder Nachziehen des Beins bis ins Groteske zu steigern. Zuletzt hüpften sie auf allen Vieren herum wie die Frösche, krochen seitwärts wie die Krebse oder verrenkten die hageren Hälse wie die Kraniche während der Paarungszeit – und das, bis die Zuschauermenge brüllte und sich die Bäuche hielt vor Lachen. Die immerhin betagten Tänzer und Tänzerinnen ließen sich dermaßen hinreißen, ihr ebenso abscheuliches wie zum Lachen reizendes Gehopse und Gespringe so sehr in die Länge zu ziehen, daß die Priester sie fast mit Gewalt vom Platz vertreiben mußten. Vielleicht interessiert es Euer Exzellenz zu erfahren, daß dieses flehentliche Bemühen Tlaloc niemals bewegen hat, auch nur einem einzigen Krüppel zu helfen – ganz im Gegenteil, viele von ihnen mußten von dieser Nacht an für immer das Bett hüten –, doch diejenigen alten Narren, die dazu noch in der Lage waren, kamen Jahr für Jahr wieder, um ihre grotesken Tänze aufzuführen.
Als nächstes kam der Tanz der Auyanime, jener Frauen, deren Leib dem Dienst an Kriegern und Rittern vorbehalten war. Der Tanz, den sie aufführten, wurde Quequezcuicatl – »Reiz-Tanz« – genannt weil er bei den Zuschauern – gleichgültig, ob Mann oder Frau, jung oder alt – derartige Gefühle weckte, daß sie oft mit Gewalt daran gehindert werden mußten, nicht zwischen die Tänzerinnen zu springen und etwas ungeheuerlich Frevelhaftes zu tun. Der Tanz war in seinen Bewegungen so eindeutig, daß man – wiewohl die Auyanime nur allein tanzten und das auch noch einzeln – hätte schwören mögen, sie hätten unsichtbare, nackte Partner, mit denen sie …
Ja, nun, nachdem die Auyanime – völlig außer Atem, schweißglänzend, mit aufgelösten Haaren und weichen Knien – den Platz geräumt hatten, traten zum hungrigen Gedröhn der Göttertrommel in einem reichgeschmückten, von Priestern getragenen Tragstuhl ein Knabe und ein Mädchen auf, die beide etwa vier Jahre alt sein mochten. Da der verblichene und unbeklagte Verehrte Sprecher Tixoc äußerst lax gewesen war, was das Kriegführen betrifft, standen für das nächtliche Opfer keine gefangenen Kinder anderer Volksstämme zur Verfügung; daher waren die Priester gezwungen gewesen, sie zwei ortsansässigen Sklavenfamilien abzukaufen. Die vier Eltern saßen in einer der vordersten Reihen und schauten stolz zu, wie ihre Kinder bei mehreren Umzügen rund um den Platz vorgezeigt wurden.
Eltern wie Kinder hatten allen Grund, stolz und erfreut zu sein, denn der kleine Junge und das kleine Mädchen waren schon so lange im Voraus durch Kauf erworben worden, daß man sie gut versorgt und wohlgefüttert
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