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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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eine Ewigkeit im Dunkel und Nichts von Mictlan geschmachtet. Statt dessen starben sie zu Ehren Tlalocs und zum Wohle von uns, die wir weiterlebten; und durch ihren Tod errangen sie sich ein glückliches Leben im üppigen Grün der Gegenwelt Tlálocan.
    Barbarischer Aberglaube, Euer Exzellenz? Doch die nächste Regenzeit fiel so reichlich aus, wie auch ein Christ sie sich nicht besser hätte erflehen können, und gewährte uns eine reichliche Ernte.
    Grausam? Herzzerreißend? Hm, j … Ja, ich zumindest erinnere mich daran, daß es so war, denn es war der letzte glückliche heilige Tag, den Tzitzitlíni und ich jemals gemeinsam genießen sollten.

    Als Prinz Weides Acáli kam, mich abzuholen, langte es erst weit nach Mittag an, denn es war die Zeit der rasenden Winde, und die Ruderer hatten eine stürmische Überfahrt hinter sich. Nicht minder rauh erwies sich die Rückfahrt – das Wasser war zu einer unruhigen See aufgewühlt, und der Wind riß Gischt von den Wogenkämmen – weshalb wir erst in Texcóco landeten, als die Sonne sich schon fast zur Ruhe begeben hatte.
    Obgleich die Häuser und Gassen der Stadt gleich hinter den Hafenanlagen begannen, war dies nur eine Randsiedlung mit Werkstätten und Wohnungen von Handwerkern, die auf irgendeine Weise mit dem See zu tun hatten: Bootswerften; Werkstätten zur Herstellung von Netzen und Tauwerk, Angelhaken und dergleichen; die Häuser von Schiffern, Fischern und Vogelstellern. Das Zentrum der Stadt lag etwa die Hälfte von Ein Langer Lauf weiter landeinwärts. Da niemand aus dem Palast gekommen war, mich abzuholen, erboten Prinz Weides Ruderer sich, mich einen Teil des Weges zu begleiten und mir die Sachen zu tragen, die ich mitgebracht hatte: ein paar zusätzliche Kleider, noch einen Satz Farben, die Chimáli mir geschenkt hatte, und einen Korb mit Naschwerk, das Tzitzi für mich gebacken hatte.
    Meine Gefährten blieben einer nach dem anderen zurück, sobald wir in das Viertel kamen, in dem sie wohnten. Doch der letzte erklärte mir, wenn ich einfach weiter geradeaus ginge, könne ich den Palast auf dem großen Platz mitten in der Stadt nicht verfehlen. Es war inzwischen stockfinster geworden, und es waren nicht viele andere Leute in dieser windigen Nacht unterwegs. Gleichwohl waren die Straßen beleuchtet. In jedem Haus brannten Lampen mit Kokosnußöl, Ahuacatl-Öl oder Fischtran oder welches Brennmaterial die Leute im Haus sich jeweils leisten konnten. Ihr Licht drang durch die Fensteröffnungen nach außen, selbst durch jene, welche mit Gitterwerk oder durch Stoffvorhänge geschlossen waren. Zusätzlich ragte an den meisten Straßenecken eine Fackel in die Höhe: auf hohen Ständern mit durchbrochenen Kupferkörben, in denen Kienspan brannte, und von denen der Wind Funken aufstieben und gelegentlich auch kleine Tropfen brennendes Harz hinausblies. Diese Ständer steckten in Löchern, welche man durch die Faust stehender oder sitzender steinerner Standbilder der verschiedenen Götter gebohrt hatte.
    Ich war noch nicht weit gegangen, da beschlich mich Müdigkeit; ich schleppte so viele Bündel und wurde auch vom Wind sehr gebeutelt. Erleichtert atmete ich daher auf, als ich in der Dunkelheit unter einem rotblühenden Tapachini-Baum eine steinerne Bank stehen sah. Dankbar ließ ich mich darauf nieder, saß eine Weile da und genoß es, von den scharlachroten Blütenblättern berieselt zu werden, die der Wind herunterwehte. Dann merkte ich, daß die Bank unter mir Erhebungen und Einkerbungen eines gemeißelten Musters aufwies. Ich brauchte nur anzufangen, die Zeichnung mit dem Finger nachzuziehen – und in der Dunkelheit nicht einmal meine Augen anzustrengen –, da wußte ich, daß es sich um die Zeichen einer Bilderinschrift handelte – und wußte auch genau, was sie bedeutete.
    »Ein Ruheplatz für den Herrn Nacht Wind«, zitierte ich laut und lächelte selbstgefällig.
    »Genau dasselbe hast du auch gelesen«, ließ sich eine Stimme im Dunkel vernehmen, »als wir uns vor etlichen Jahren auf einer anderen Bank begegneten.«
    Überrascht fuhr ich zusammen, verengte dann die Augen und erkannte am anderen Ende der Bank eine Gestalt. Wieder trug sie einen Umhang und Sandalen von guter Qualität wenngleich beides vom vielen Wandern abgenutzt war. Und wieder war die Gestalt vom Staub der Straße bedeckt so daß ihre kupferfarbenen Züge nicht deutlich zu erkennen waren. Doch diesmal war ich vermutlich genauso verstaubt und ich überlegte, wie er mich wohl erkannt

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