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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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haben mochte. Nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte, sagte ich:
    »Jawohl, Yanquicatzin, es ist ein ungewöhnlicher Zufall.«
    »Du solltest mich nicht als Herr Fremder anreden«, knurrte er genauso kratzbürstig, wie ich seine Stimme in Erinnerung hatte. »Schließlich bist du hier der Fremde.«
    »Richtig, Herr«, sagte ich. »Allerdings habe ich inzwischen mehr als nur die einfachen Schriftzeichen auf Bänken am Wege lesen gelernt.«
    «Das will ich auch hoffen«, sagte er trocken.
    »Und zwar dank dem Uey-Tlatoáni Nezahualpíli«, erklärte ich. »Aufgrund seiner großmütigen Einladung habe ich in den Unterrichtsräumen bei Hofe viele Monde der höheren Unterweisung genossen.«
    »Und womit verdienst du dir derlei Gunstbeweise?«
    «Nun, ich würde alles tun, denn ich bin meinem Wohltäter dankbar und brenne darauf, ihm seine Wohltat zu vergelten. Doch bis jetzt habe ich den Verehrten Sprecher noch nicht kennengelernt und außer Schulaufgaben gibt mir niemand etwas zu tun auf. Das erfüllt mich mit Unbehagen und ich habe das Gefühl, nur ein Schmarotzer zu sein.«
    »Vielleicht hat Nezahualpíli bis jetzt nur abgewartet. Um zu sehen, ob du dich wirklich als vertrauenswürdig erweist. Um
    von dir selbst zu hören, daß du alles für ihn tun würdest.«
    »Das würde ich tun. Alles, was er von mir verlangt.«
    »Nun, vermutlich wird er irgendwann einmal etwas von dir verlangen.«
    «Das hoffe ich, Herr.«
    Schweigend saßen wir eine Weile da, und nur der Wind fuhr ächzend zwischen den Häusern hin und her, wie Chocaciuatl, die Weinende Frau, die für immer umherirrt und ihr verlorenes Kind sucht. Schließlich sagte der staubbedeckte Mann sarkastisch:
    »Du brennst darauf, dem Hof nützlich zu sein, und dabei sitzt du hier, während der Palast dort drüben ist.« Mit einer Handbewegung wies er die Straße hinunter. Ich wurde genauso wortkarg entlassen wie das letzte Mal.
    Ich stand auf, nahm meine Bündel und sagte ein wenig spitz: »Wie mein ungeduldiger Herr vorschlägt. Ich gehe. Mixpantzinco.«
    »Ximopanólti«, kam es gedehnt und gleichgültig von seinen Lippen.
    Unter dem Fackelgerüst an der nächsten Ecke blieb ich stehen und blickte zurück, doch das Licht reichte nicht weit genug, um die Bank zu beleuchten. Wenn der mit Reisestaub bedeckte Fremde immer noch dasaß, konnte ich seine Gestalt jedenfalls nicht erkennen. Ich sah nichts weiter als einen kleinen roten Wirbel von Tapachini-Blütenblättern, der vom Nachtwind durch die Straße getrieben wurde.
    Schließlich fand ich den Palast und den kleinen Sklaven Cozcatl, der auf mich wartete, um mich in meine Gemächer zu führen. Der Palast von Texcóco war weit größer als der von Texcotzinco – er muß wohl tausend Räume enthalten haben –, denn mitten in der Stadt stand nicht genügend Raum für all die vielen notwendigen Nebengebäude zur Verfügung, die sich auf dem Lande weitläufig um den Palast verteilten. Gleichwohl war das Palastgelände immer noch beeindruckend, und Nezahualpíli wollte augenscheinlich auch mitten in seiner Hauptstadt nicht auf seine Gärten, seine schattigen Lauben, Springbrunnen und dergleichen verzichten.
    Selbst ein Irrgarten befand sich auf diesem Gelände, groß genug, daß zehn Familien durch Ackerbau ihren Lebensunterhalt daraus hätten ziehen können. Angelegt hatte ihn ein längst verstorbener königlicher Ahne Nezahualpílis, und seither war er stetig gewachsen und die Hecken immer fein säuberlich gestutzt worden. Jetzt war dieser Irrgarten eine Allee schnurgerade nebeneinander verlaufender, undurchdringlicher Dornenhecken von doppelter Mannshöhe, die um Ecken herumführte, sich verzweigte und wieder auf sich selbst zurückführte. Die äußere Umfassungshecke wies nur einen einzigen Zugang auf, und es hieß, jeder, der ihn betrete, würde nach langem Hin- und Herwandern durch verschlungene Alleen im Herzen des Irrgartens zuletzt auf eine kleine, grasbewachsene Lichtung gelangen, doch sei es ein Ding der Unmöglichkeit, jemals den Weg zurück und hinauszufinden. Einzig der alte Obergärtner des Palastes kannte den Rückweg – ein Geheimnis, das in seiner Familie vom Vater auf den Sohn vererbt und traditionellerweise selbst vor dem Uey-Tlatoáni geheim gehalten wurde. Infolgedessen durfte niemand hinein, es sei denn, in Begleitung des Gärtners – oder allein, zur Bestrafung. Gelegentlich wurde ein überführter Gesetzesbrecher dazu verurteilt, allein und nackt in diesen Irrgarten hineingetrieben zu

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