Der Azteken-Götze
dort, wo er stand, drehte er sich zusammen und brach in die Knie.
In dieser Haltung blieb er auch, den Kopf gedreht, damit er den Götzen anschauen konnte.
In dessen Gesicht bewegte sich die Haut. Er öffnete den Mund, zerrte bereits an seinen Stricken, und die Muskeln seiner Arme veränderten sich zu kleinen Gebirgen, wobei scharf und gut sichtbar unter der dünnen Haut die Sehnen hervortraten.
Zuerst hatte er geröchelt.
Jetzt schrie er.
Und es war ein Schrei, wie ihn kein Mensch ausstoßen konnte. Irre, verrückt, markerschütternd, wütend und gleichzeitig triumphierend. Als wären die schrecklichen Erlebnisse, die er in den vergangenen Jahrhunderten gesammelt hatte, in diesem Schrei verborgen, der nach Erlösung und Freiheit klang.
Dann bewegte er sich!
Zuerst zuckten nur seine Arme, dann die Hände, die er zu Fäusten geballt hatte.
Einen Moment später zersprangen die Fesseln!
Inez stand da, wie eingefroren. Sie konnte kaum fassen, daß endlich ein langersehnter Traum Wahrheit geworden war.
Der Götze hatte es geschafft. Das Blut der Fremden hatte ihm die entsprechende Kraft gegeben, um die Fesseln sprengen zu können. Es war so wunderbar, so einmalig, und auch an seinen Füßen sprangen die Stricke auseinander. Jetzt hielt ihn nichts mehr. Der Azteken-Götze war frei!
***
Inez hatte das Gefühl, weinen zu müssen, aber sie hielt sich zurück. Ihre Handflächen hatte sie gegen die Wangen gepreßt, als wollte sie so ihr Gesicht wärmen.
Sie schaute nach vorn. Die Augen in ihrem Gesicht waren zwei erstaunte Kugeln, das Lächeln auf dem Mund wirkte wie eingefroren. Von ihr strahlte etwas ab, das nicht zu beschreiben war.
Hoffnung, der Glaube an die Zukunft, die so werden sollte, wie die Vergangenheit einmal gewesen war, und Inez war zudem so geschockt, daß sie keinen Laut hervorbringen konnte. Die Frau konnte nicht fassen, daß ein langgehegter Traum in Erfüllung gegangen war, trotz ihrer jahrelangen Vorbereitungen.
Es war Wahnsinn…
Er schüttelte sich. Es sah so aus, als wollte er sein restliches Federkleid abstreifen, doch dies geschah nicht. Der Götze war beinlos, und er würde auch weiterhin keine Beine mehr besitzen. An Stelle dessen hatte er nur einen gefiederten Schwanz, der an seiner Hüfte begann und sich dort verbreiterte, wo eigentlich die Füße bei einem Menschen hätten sein müssen.
So also war er!
Auch Abe Douglas erlebte das Erwachen, der Killer ebenfalls. Er stand leicht vorgebeugt da, als wollte er im nächsten Moment starten und auf den Götzen zuspringen.
Das trauten er und Inez sich nicht. Ihr Respekt vor dieser Kreatur war einfach zu groß.
Noch einmal schüttelte sich Xitopec, als wollte er den urlangen Schlaf aus seinem Gefieder bekommen.
Und dann stemmte er sich ab. Er warf sich einfach vor, schaffte Raum zwischen sich und dem Brett, so daß er seine Flügel ausbreiten konnte, um die ersten Flugversuche nach der langen Zeit der Gefangenschaft zu probieren.
Es klappte nicht sofort, aber je mehr Zeit verging, um so besser kam er zurecht. Die breiten Flügel schwangen auf und ab, als er sich dem Rand der Plattform näherte.
Noch einmal Schwung genommen, das Bewegen der Flügel, dann war er plötzlich weg.
Er schwebte, er flog, er bewegte sich noch heftiger und stieg hoch in den dunklen Himmel über der Schlucht.
Es war wunderbar.
Selbst die Menschen am Fuß der Treppe hatten die Vorgänge gesehen, und sie begleiteten den Flug des Götzen mit einem wahren Jubelschrei. Endlich war es geschafft.
Das Brett war leer. Blutflecken zierten es. Sie würden wohl immer bleiben, und die beiden für die Befreiung verantwortlichen Personen schauten sich an.
»Du warst gut«, sagte der Killer.
Inez nickte. »Ich weiß. Aber das war nicht nur die Person, die du vor dir siehst. Auch mein atlantisches Ich hat mir die nötige Kraft gegeben. Mein erstes Leben kehrte zurück in dieses hier.«
»Wird es dein letztes sein?«
»Ich kann es nicht sagen.«
Sidda grinste. »Eines jedoch weiß ich. Für den Bullen wird es das letzte sein!«
Abe Douglas war zwar geschafft und fertig, aber nicht so stark, als daß er den Satz nicht gehört hätte. Noch immer kniete er am Boden, als wollte er das Brett anbeten.
Die Wunde blutete noch, zum Glück nicht mehr so stark. Sein Gesicht allerdings würde für immer gezeichnet bleiben, denn derartige Verletzungen hinterließen Narben.
Er mußte über sich selbst lachen, als er an die Sorgen dachte, die er sich machte. So weit würde es
Weitere Kostenlose Bücher