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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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vorbei nach ihrem Führerschein. Der zweite Polizist ging an dem Auto entlang und sah, daß vorn in dem BMW auch eine Person saß. »Hier stimmt was nicht«, rief er seinem Kollegen zu. »Warum haben die beiden kein Licht an?«
    Plötzlich fielen Schüsse. Um Margrit Schiller herum regnete es Glassplitter. Die Fahrertür wurde aufgerissen, ihr Begleiter schrie: »Komm, wir müssen weg.« Sie duckten sich vor den Schüssen und liefen durch das Gebüsch, rannten in der Dunkelheit über Felder.
    Wenn irgendwo Scheinwerfer aufleuchteten, warfen sie sich zu Boden. Irgendwann stießen sie auf ein parkendes Auto, in dem ein Pärchen saß. Sie fragten die beiden, ob sie sie mit ins nächste Dorf nehmen könnten. Dort bestellten sie ein Taxi und ließen sich durchnäßt nach Freiburg bringen. Der Taxifahrer schöpfte keinen Verdacht. Am frühen Morgen nahmen sie, jeder für sich, den Zug nach Hamburg. In einem vollbesetzten Abteil hatte ein Mann auf dem Tischchen vor dem Fenster ein Radio abgestellt, aus dem leise Musik tönte. Plötzlich wurde das Programm unterbrochen für eine Sondermeldung der Polizei. Es ging um eine nächtliche Schießerei auf dem Autobahnparkplatz. Dann folgte der volle Name einer der gesuchten Personen: Margrit Schiller, Alter, Größe 184 , große Augen, hohe Wangenknochen, Haarlänge, Kleidung.
    Margrit Schiller wurde »abwechselnd eiskalt und kochend heiß«. Doch niemand in dem Abteil war aufgefallen, daß die Personenbeschreibung genau auf sie paßte. Margrit verließ das Zugabteil, zog sich auf der Toilette die Jacke aus, stopfte sie in eine Tasche und band sich ein Tuch um den Kopf.
    So erreichte sie Hamburg, wo Irmgard Möller sie erwartete. Am Abend konnte sie ihren Steckbrief in der »Tagesschau« betrachten. Margrit Schiller schnitt sich die Haare ab und färbte sie dunkel. »Da saß ich nun, wußte weder aus noch ein. Ich hatte gerade mit dem neuen Leben begonnen, und schon war ich dessen Gefangene«, schrieb sie in ihren Lebenserinnerungen.
    In der Wohnung wurden Pässe gefälscht. Sie traf dort Manfred Grashof, der »freundlich und geduldig war, aber auch verschlossen und abwesend«. Er trauerte um seine Freundin Petra Schelm. In der Wohnung war ein ständiges Kommen und Gehen. »Nur ich blieb dort wie eingemauert«, erinnerte sich Margrit Schiller. »Mein Kopf wurde immer leerer. Ich saß da, stierte stundenlang vor mich hin und vergrübelte sinn- und richtungslos die Zeit.«
    Eines Tages raunzte Ulrike sie an: »Du machst ja überhaupt nichts!« Bevor Margrit antworten konnte, war sie schon wieder weg. Sie lebte zwar in der Wohnung, hatte aber eine Liebesbeziehung zu einer anderen Frau aus der Gruppe aufgenommen. Die meiste Zeit, so stellte Margrit Schiller fest, verbrachten die beiden bei geschlossener Tür in einem Zimmer. Manchmal setzte sich die andere Frau zu Margrit: »Ich verstehe, daß es dir beschissen geht, wir müßten uns eigentlich in Ruhe mit dir hinsetzen und über alles quatschen. Aber verstehste, ich kann’s jetzt nicht. Du siehst ja, wie wir ständig rumhetzen, es gibt einfach viel zu viele Sachen zu erledigen. Ulrike läßt sich auch nie Zeit. Sie will immer alles auf einmal machen und alles sofort. Sie gönnt sich nie ’ne Ruhepause. Und wenn wir hier mal eine Stunde Ruhe haben, will ich einfach mit ihr zusammensein.«
    Eines Tages schleppte Ulrike bunte Stoffbahnen in die konspirative Wohnung, legte sie über die Matratzen und hängte sie vor die Fenster. »Ich werde noch lange genug in häßlichen grauen Zellen leben«, sagte sie. »Es muß ja nicht jetzt schon alles wie im Knast aussehen.«
    Die Schießerei an der Autobahn ging Margrit Schiller nicht aus dem Sinn: »Ich hatte nicht geschossen, aber es war auch meinetwegen geschossen worden und dann auf mich. Alle Schüsse waren schrecklich gewesen, eine ungeheure Brutalität.«
    Nach knapp vier Wochen kam Ulrike mit der Nachricht, sie würden sich alle in einer anderen Wohnung treffen. »Du mußt mit, weil wir auch bereden wollen, wie es mit dir weitergeht.« Margrit Schiller kaufte sich in einem nahegelegenen Einkaufszentrum ein Kleid, einen Mantel, Schuhe und eine Strumpfhose. Das Treffen sollte am 21 . Oktober 1971 stattfinden.

27. Der Tod eines Polizeibeamten
    Vier Wochen war Margrit Schiller jetzt schon in Hamburg. Die Stadt war nach der Festnahme von Astrid Proll und dem Schußwechsel mit der Polizei, bei dem Petra Schelm getötet worden war, für die RAF ein gefährliches Pflaster geworden. Für das

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