Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
unmittelbarer Nähe des Tatortes. In den Vorermittlungen hatte Lemke zu Protokoll gegeben, er habe Müller als Todesschützen wiedererkannt.
Im Prozeß gegen Gerhard Müller schwächte Lemke seine Aussagen erheblich ab. Die Staatsanwaltschaft rückte von dem Vorwurf des Polizistenmordes ab. Auch in den anderen Anklagepunkten, der Mittäterschaft bei den Bombenanschlägen des Frühjahrs 1972 , die ihm eine lebenslange Strafe hätten einbringen können, kam Müller glimpflich davon. Er wurde wegen versuchten Mordes und anderer Delikte zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, von denen er nicht viel mehr als die Hälfte absitzen mußte.
Im Stammheimer Prozeß wurde Gerhard Müller einer der Hauptbelastungszeugen. Die Verteidiger bemühten sich, ihn als »gekauften Kronzeugen« zu entlarven. Sie vermuteten, daß Gerhard Müller der Mord an dem Hamburger Polizisten »geschenkt« worden war, um ihn als Zeugen der Anklage zu gewinnen.
Margrit Schiller trat im Stammheimer Verfahren auf und sagte: »Ich habe gesehen, daß Gerhard Müller in der Nacht vom 21 . zum 22 . Oktober 1971 den Polizeibeamten Schmid erschossen hat.«
Sie habe beobachtet, wie Schmid das Paar verfolgte und es schließlich erreichte. Der Beamte habe der Frau die Handtasche entrissen. »Müller war neben ihr, hielt seine Pistole in der Hand und schoß auf Schmid. Schmid ließ die Handtasche los und fiel zu Boden. Müller und die Person liefen weiter, und dabei hörte ich weitere Schüsse.«
In der Tat stellte sich im Stammheimer Verfahren allerhand Ungereimtes im Zusammenhang mit dem Zeugen Müller heraus. So waren seine Aussagen vor der Hamburger Polizei in der Sonderakte 3 ARP 74 / 75 I festgehalten, dem Stammheimer Gericht aber nicht ausgehändigt worden. Das Bundesjustizministerium hatte sie für »geheim« erklärt. Erst nach langem Tauziehen war es den Verteidigern gelungen, die Akte freizubekommen. Fünfzehn Seiten daraus blieben allerdings nach wie vor geheim.
Generalbundesanwalt Siegfried Buback soll in diesem Zusammenhang bei einem Gespräch in der Bundesanwaltschaft gesagt haben: »Wenn diese Akte bekannt wird, können wir alle unseren Hut nehmen.«
Als Zeuge im Stammheimer Prozeß berief Buback sich stets auf seine beschränkte Aussagegenehmigung, wenn die Befragung durch die Anwälte auf die Geheimakte zielte.
»Enthält die Akte, in der offensichtlich auch die Vernehmungsprotokolle von Herrn Müller sind, Ermittlungsergebnisse, die, wenn auch nur entfernt, etwas mit diesem Verfahren zu tun haben könnten?« wollte Verteidiger Otto Schily von ihm wissen.
»Herr Rechtsanwalt, dazu kann ich keine Aussage machen, weil sich darauf meine Aussagegenehmigung nicht erstreckt«, antwortete Buback.
Rechtsanwalt Dr. Hans Heinz Heldmann fragte: »Kennen Sie die Akten 3 ARP 74 / 75 I ?«
»Ja, Herr Rechtsanwalt, es kommt immer wieder auf die Frage der Aussagegenehmigung an. Das Vorhandensein dieser Akte ist mir selbstverständlich bekannt.«
»Die Frage zielte auf den Inhalt. Kennen Sie den Inhalt dieser Akte?«
»Ich möchte das doch auf die Aussagegenehmigung jetzt abheben.«
»Haben Sie, Herr Zeuge, veranlaßt, daß diese Akte mit einem Sperrvermerk belegt wird?«
»Ich habe das vorgeschlagen.«
»Haben Sie den Bundesminister der Justiz aufgefordert oder ihm empfohlen, Ihnen eine Aussageerlaubnis als Zeuge in diesem Verfahren nicht zu erteilen?«
»Ja, ich kann die Frage wegen mangelnder Aussagegenehmigung nicht beantworten.«
Auch Gerhard Müller selbst wurde von der Verteidigung in Stammheim zu der Ermordung des Polizeibeamten Norbert Schmid und zu der Geheimakte 3 ARP 74 / 75 I befragt.
»Herr Müller, wo waren Sie im Oktober 1971 ?« erkundigte sich Rechtsanwalt Schily am 126 . Verhandlungstag.
»In Kiel und in Hamburg.«
»Kennen Sie die Straße Heegbarg und den Saseler Damm?«
»Ja.«
»Kennen Sie auch den großen Parkplatz hinter dem Einkaufszentrum?«
»Herr Vorsitzender, ich meine, das geht ein ganzes Stück zu weit«, wandte sich Müller hilfesuchend an den Richter Dr. Prinzing.
Der Vorsitzende erklärte ihm, nach Paragraph 55 müsse er sich nicht selbst belasten. Müller beantwortete Schilys Frage mit: »Ja«.
»Wo waren Sie in der Nacht vom 21 . zum 22 . Oktober 1971 ?«
Müller drehte sich zu seinem Anwalt um.
»Wir haben das Mikrophon ausgeschaltet, so daß Sie sich unterhalten können«, bemerkte Prinzing.
Nach kurzer Besprechung mit seinem Rechtsbeistand erklärte
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