Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
hätten drei Minuten Zeit zu verschwinden, sonst würde er die Polizei anrufen. Oder jene, die Cathleen Cleaver, Ehefrau des amerikanischen Black-Panther-Führers Eldridge Cleaver, zu einer Veranstaltung eingeladen hatten, auf der sie aufgetreten war wie eine Rachegöttin. Als man bei denen anklopfte, stand ihnen der Schweiß im Gesicht. Und wie war es in Berlin? Beim Vietnam-Kongreß 1968 hatte an der Stirnwand des Audimax der Technischen Universität ein Zitat von Che Guevara gestanden: »Es ist die Pflicht eines Revolutionärs, die Revolution zu machen!«
Was war mit denen, die das überdimensionale Plakat dorthin gehängt hatten, mit jenen, die es beklatschten?
Nur wenige der Studentenführer aus der APO -Zeit brachten den Mut auf zu bekennen, daß auch sie mit vorbereiten halfen, was die »Baaders und die Meinhofs« später in die Tat umsetzten.
Peter Schneider zum Beispiel. Fünfzehn Jahre nach Beginn des Untergrundkampfes schrieb er an Peter-Jürgen Boock, der aus Baaders Frankfurter Lehrlingsarbeit den Weg in die zweite Generation der RAF gefunden hatte:
»Die Idee von der Stadtguerilla und vom bewaffneten Kampf in den Metropolen ist keineswegs in den Hirnen von ein paar isolierten Einzelkämpfern entstanden. Sie schwamm von Anfang an mit im Gedanken- und Gefühlsstrom der 68 er Generation und wurde mit einer heute unvorstellbaren Offenheit auf Teach-ins diskutiert, an denen Tausende teilnahmen. Allerdings wurden diese Diskussionen mit einer gewissen Unschuld geführt: Sie hatten sich noch nicht zu einer Strategie des bewaffneten Kampfes gefestigt und mußten sich an der entsprechenden Praxis nicht messen lassen.
Als dann Gruppen wie die ›Bewegung 2 . Juni‹ und die ›Rote Armee Fraktion‹ ernst machten, wich der theoretische Flirt mit dem bewaffneten Kampf rasch einer hastigen Abgrenzung. Diese Abkehr war aber nicht das Ergebnis einer energischen Kritik und Selbstkritik. Sie fand ebenso still und fast sprachlos statt wie die Abwendung von anderen Ideen jener Zeit, die sich als illusionär oder falsch herausstellten. Was den Umgang mit der eigenen Vergangenheit angeht, haben es die Söhne kaum besser gemacht als die Väter: Was sich nicht bewährte, vergaß man lieber und überließ es der natürlichen historischen Selektion. Nach der Niederlage wurde man Hals über Kopf demokratisch, gewaltfrei und fing an, die Verfassung zu lesen. Fortan nannte man sich nicht mehr Marxist, sondern links, nicht mehr revolutionär, sondern radikal, und was bei diesem Namenswechsel alles mit über Bord ging und über Bord zu werfen verdiente, wollte man nicht so genau wissen. Der Gang der Dinge ersetzte den Lernprozeß. Die Sprachlosigkeit, in die sich die meisten Wortführer der Studentenbewegung Mitte der siebziger Jahre zurückzogen, war nie mit bloßer Theoriemüdigkeit zu erklären. Diese Müdigkeit ist das Ergebnis einer Verdrängung.«
Mitte Oktober 1971 kehrten Andreas Baader und Gudrun Ensslin nach Berlin zurück. Dort waren inzwischen erste Vorarbeiten für eine Großaktion der RAF geleistet worden: Auf einen Schlag sollten der amerikanische, der britische und der französische Stadtkommandant entführt werden.
Der Rest der Gruppe blieb in Hamburg. Einer ihrer Stützpunkte war eine Wohnung am Heegbarg in Poppenbüttel. Sie gehörte einem bekannten Liedermacher. Nach einem Konzert hatte Gudrun Ensslin ihn angesprochen und um eine Übernachtungsmöglichkeit gebeten. Der Sänger gab ihr den Wohnungsschlüssel und setzte seine Tournee fort.
Inzwischen hatte auch Margrit Schiller eine Pistole bekommen. Im Auftrag der RAF sollte sie helfen, gestohlene Wagen mit den Fingerabdrücken von Andreas Baader und Ulrike Meinhof in der Nähe von Freiburg abzustellen, um die Polizei in die Irre zu führen.
Am späten Nachmittag des 25 . September 1971 fuhren Margrit Schiller und ein anderer Genosse los und erreichten nach Mitternacht das ausgemachte Ziel, den Parkplatz Bremgarten auf der Autobahn Frankfurt–Basel. Margrit Schiller ließ ihren VW auf dem linken Streifen des Parkplatzes ausrollen. Er sollte der nächsten Streife auffallen. Als sie die Zündung ausgestellt und die Scheinwerfer abgeschaltet hatte, sah sie im Rückspiegel ein Auto näher kommen. Ein Polizist stieg aus und leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht: »Kann ich mal Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere sehen? Haben Sie eine Panne, oder warum stehen Sie auf der falschen Seite?« Zitternd griff Margrit Schiller an ihrer Pistole
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