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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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rief sie ihm scherzhaft zu. »Die Bullen sind bei dir in der Wohnung«, erwiderte er. »Bei dir wird nach Waffen gesucht.« Edelgard übergab ihrem Nachbarn das Kind und lief in Richtung des »Sozialistischen Anwaltskollektivs«. Auf dem Weg dorthin stieß sie auf ihren Rechtsanwalt.
    Gemeinsam gingen sie zur Wohnung. Edelgard wurde festgenommen. Bei der Polizei erklärte man ihr, sie würde ihr Kind nie wiedersehen. Es sei denn, sie mache Aussagen. Drei Wochen später sagte sie aus. Sie konnte zu ihrem Kind zurückkehren.
     
    Am 27 . März 1972 ging gegen 20 . 00 Uhr bei der Deutschen Presseagentur in Berlin ein anonymer Eilbrief ein. In dem Umschlag steckte ein Zettel mit der Schreibmaschinenaufschrift: »Das ist Edelgard G. Diese Denunziantin steckt mit den Killerschweinen unter einer Decke. Es lebe die RAF !« Beigefügt war ein Foto, das eine Frau zeigte, die mit einer dunklen Flüssigkeit übergossen worden war. Der diensttuende dpa-Redakteur reichte den Brief an die Polizei weiter. Zwei Kriminalbeamte machten sich auf den Weg in die Pariser Straße. Die Polizisten legten Edelgard G. den Brief und das Foto vor.
    »Ich habe erwartet, das Bild in den nächsten Tagen in der › BZ ‹ veröffentlicht zu sehen«, sagte sie.
    »Können Sie etwas über die Entstehung des Bildes sagen?«
    Die Frau schüttelte den Kopf.
    »Ist das möglicherweise eine Fotomontage?«
    Sie antwortete nicht. Als die Beamten weiterfragten, begann sie, am ganzen Körper zu zittern.
    Im Polizeiprotokoll hieß es später: »Ihren weiteren Reaktionen und vagen Andeutungen war ohne Frage zu entnehmen, daß sie tatsächlich geteert worden ist und daß es sich um kein gestelltes oder retuschiertes Bild handelt. Sie war auch danach nicht bereit, weitere Informationen über Täter, Ort und Zeit zu geben. Anschließend wurde die Frage ihrer persönlichen Sicherheit mit ihr erörtert. Frau G. erklärte, daß sie sich im Augenblick selber nicht darüber im klaren ist, ob sich eine solche Aktion wiederholen wird oder ob sie noch in weit stärkerem Maße, möglicherweise sogar lebensgefährlich, bedroht ist.«
    Das Polizeiprotokoll schloß mit den Worten: »Inwieweit sich aus der Mißhandlung der Beschuldigten Konsequenzen auf ihre weitere Aussagewilligkeit ergeben, ist im Augenblick ebenfalls noch nicht abschätzbar. Es muß jedoch befürchtet werden, daß sie demnächst die Aussage verweigern wird.«
     
    Später, im Stammheimer Prozeß, wurde Brigitte Mohnhaupt über die Behandlung Abtrünniger befragt. »Weißt du etwas darüber, ob es Trennungen von der Gruppe gab und wie die abgelaufen sind?« wollte Verteidiger Temming von der Zeugin wissen.
    »Es ist niemals von Liquidation geredet worden, also bei keiner Trennung. Es gibt die Geschichte, die auch bekannt ist, und zwar in Berlin. Edelgard G., die hat ein halbes Dutzend Leute hochgehen lassen. Also, sie hat Leute verraten, Wohnungen verraten. Passiert ist, gemacht worden ist: Sie hat einen Eimer Teer über die Fresse gekriegt und ein Schild um den Hals.
    Also, ich meine, wenn bekannt ist, daß jemand Leute verraten hat und sie praktisch zum Abschuß freigibt, wenn der einen Eimer Teer über den Kopf kriegt, dann ist es um so absurder anzunehmen, daß einer, der niemanden verraten hat, einfach so abgeknallt werden könnte. Das ist ausgeschlossen.«
     
    Edelgard G.s Freundin Katharina Hammerschmidt stellte sich nach längerer Fahndung der Polizei.
    Im Gefängnis entwickelte sich bei ihr ein bösartiger Tumor, den die Haftärzte nicht erkannten, obwohl er auf den Röntgenbildern leicht festzustellen war. Ärzte von außen wurden lange Zeit nicht zugelassen. Sie starb.

31. »Gib auf, Ulrike!«
    Mitte November 1971 schrieb Ulrike Meinhofs Pflegemutter Renate Riemeck für »konkret« einen offenen Brief unter dem Titel »Gib auf, Ulrike!«:
    »Du bist anders, Ulrike. Ganz anders, als die Leute meinen, die dein Bild auf dem Steckbrief gesehen und von dir in Presse, Funk und Fernsehen gehört haben. Wer dich näher kennt, weiß: Du knallst nicht jeden nieder, der sich dir in den Weg stellt. Du hast Ängste, wie alle Menschen sie haben. Aber du bist tapfer, tapferer als die meisten. Und du stehst für deine Freunde gerade. Du hast den jüngeren unter deinen Genossen voraus, daß du schon politisch engagiert warst, als sie noch teilnahmslos die Schulbank drückten. In der Antiatombewegung 1958 / 59 bist du nach vorn gegangen. Du weißt also, daß politische Bewegungen plötzlich entstehen können,

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