Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
wieder abebben und daß man im Amoklauf nichts gewinnt. Dies zu wissen ist viel.
Dir konnte also nicht der Irrtum unterlaufen, den antiautoritären Aufstand mit dem Beginn einer großen Revolution zu verwechseln.
Wir waren uns – damals sprachst du ja noch gelegentlich mit mir – über die Berechtigung des Angriffs auf die Institutionen und Strukturen völlig einig. Du machtest dir über die tatsächliche Stärke des Machtapparates keine Illusionen. Es kam alles so, wie es vorauszusehen war: Als es der Protestbewegung nicht gelang, die Solidarisierung der lohnabhängigen Massen zustande zu bringen, und die Revolution ausblieb, war der Eklat perfekt und die Enttäuschung unvermeidbar.
Die Bundesrepublik ist kein Pflaster für eine Stadtguerilla lateinamerikanischen Typs. Hierzulande sind höchstens die Voraussetzungen für ein Schinderhannes-Drama gegeben. Du weißt, Ulrike, daß ihr von unserer Öffentlichkeit nichts anderes zu erwarten habt als erbitterte Feindschaft. Du weißt auch, daß ihr dazu verurteilt seid, die Rolle einer Geisterbande zu spielen, die der Reaktion als Alibi für eine massive Wiederbelebung jener antikommunistischen Hexenjagd dient, die durch die Studentenbewegung spürbar verdrängt worden war.
Wer – außer einer Handvoll Sympathisanten – hat noch Verständnis für den politisch-moralischen Impuls eures Handelns? Opfermut und Todesbereitschaft werden zum Selbstzweck, wenn sie nicht begreifbar gemacht werden können.
Der Tod von Petra Schelm und das Schicksal von Margrit Schiller müssen dir doch an die Nerven gehen. Ihr habt nicht die Rechtfertigung der Tupamaros von Uruguay für Aktionen, bei denen geschossen wird und Menschen ihr Leben verlieren. Ihr müßt euch korrigieren.
Ich weiß nicht, wie weit dein Einfluß innerhalb der Gruppe reicht, wie weit deine Freunde rationalen Überlegungen zugänglich sind. Aber du solltest versuchen, die Chancen von bundesrepublikanischen Stadtguerillas einmal an der sozialen Realität dieses Landes zu messen. Du kannst es, Ulrike.«
32. »Eine Sklavenmutter beschwört ihr Kind«
Drei Wochen, nachdem »konkret« am Kiosk auslag, fand eine Angestellte des Gartenbauamtes in einem Papierkorb am Berliner Wittenbergplatz eine Plastiktüte mit Munition und einigen Schriftstücken. Neben Fotokopien eines Briefes der RAF an die Partei der Arbeit der Volksrepublik Korea, der dem Stil nach von Ulrike Meinhof stammte und auch mit handschriftlichen Zusätzen von ihr versehen war, befand sich in der Tüte auch die Durchschrift eines Schreibens mit dem Titel »Eine Sklavenmutter beschwört ihr Kind«:
»Ulrike, du bist anders als dein Steckbrief, ein Sklavenkind – selbst Sklavin.
Wie also solltest du fähig sein, auf deine Unterdrücker zu schießen?
Laß dich nicht verführen von jenen, die keine Sklaven mehr sein wollen. Du kannst sie nicht schützen.
Ich will, daß du Sklavin bleibst – wie ich. Ich und du – wir haben gesehen, wie die Herren den Aufstand der Sklaven zerschlugen, noch ehe er begann.
Viele Sklaven sind umgekommen, wir aber überlebten. Sie, die sich heute über die Herren erbittern, wissen ja nicht, welch herrliches Gefühl es ist, noch einmal davongekommen zu sein. Genieße es – denn nichts sonst bleibt uns zu genießen.
Die Revolution ist groß – wir sind zu klein für sie.
Sklavenseelen sind Flugsand, auf den ein Sieg nicht zu gründen ist.
Als du aufwachtest und die Freiheit verlangtest, da hat sie dir niemand gebracht. Warum hast du nicht resigniert – wie andere?
Sieh mich! Ich habe Widerstand geleistet, wenn mich die Herren schlugen – ich schrie.
Doch du erzürnst die Herrschaft, daß sie wieder schlagen möchte. Wer aber wird noch schreien wollen, wenn wir selbst dafür noch mißhandelt werden?
Du bist ein braves Kind. Du bist gar nicht über den Zaun der Herrschaft geklettert, das waren doch die anderen. Sie haben die Hunde aber auf dich losgelassen.
O Kind, du hast etwas besseres verdient. Was du alles hättest werden können.
Sicher hättest du es zur Aufseherin gebracht.
Siehst du nicht, wie stark die Herrschaft ist? Alle Sklaven gehorchen ihr. Selbst jene, die sich empört hatten und siegten, werden der Herrschaft ihren Sieg zu Füßen legen, damit sie weiter Sklaven sein dürfen.
Die Sklaven hassen jene, die frei sein wollen. Sie sollen dir auch nicht helfen, damit du endlich begreifst, daß deine Rebellion sinnlos ist.
Dein Mut ist herzlos, denn wie können wir vor ihm noch unsere
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