Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
jegliche Unterstützung, politisch und finanziell. Die Zeit war günstig. Die RAF machte den Polizeibehörden in den Ländern immer größere Schwierigkeiten. Eine Art deutsches FBI sollte Abhilfe schaffen. Die Landesinnenminister, sonst immer streng auf ihre Polizeihoheit achtend, waren bereit, einen Teil ihrer Macht an das BKA abzutreten.
Die Abteilung Terrorismusbekämpfung des Bundeskriminalamtes operierte in jener Zeit noch immer von Bonn aus. Fünfzig Beamte gehörten zur sogenannten Sicherungsgruppe Bonn. Herold flog alle paar Tage mit dem Hubschrauber von Wiesbaden nach Bonn, um mit Genscher und dem Chef der » SG « zu konferieren. Die Sicherungsgruppe führte praktisch ein Eigenleben, war eine Art selbsternannter Elitetruppe des BKA .
»Was machen wir mit dem Terrorismus?« fragte Genscher.
Herold: »Man kann den Terrorismus nicht von Bonn aus bekämpfen. Das geht nur dezentral, an der Basis.«
Dann entwickelte Herold die Idee eines Meldesystems zwischen BKA und Landespolizeien. Die einzelnen Bundesländer sollten aufgefordert werden, jeweils eine Sonderkommission »Terrorismusbekämpfung« zu bilden, die vom BKA aus gesteuert wurde. Altgediente Beamte im Bundesinnenministerium hielten das für eine ziemlich überzogene Idee, wußten sie doch, wie sehr die Polizeibehörden der Länder auf ihre Eigenständigkeit achteten. Herold hatte offenbar keine Ahnung vom Kompetenzenbewußtsein der Landesämter.
Genscher aber war auf Herolds Seite. Er beschloß, Herolds Plan der Innenministerkonferenz vorzulegen, die alle vierzehn Tage zusammentraf, immer häufiger beim BKA in Wiesbaden. Vorsitzender der Innenministerkonferenz war damals der Hamburger Innensenator Heinz Ruhnau, der seine Kollegen schnell auf den Herold-Plan einstimmte. Das BKA erhielt den Auftrag, die Sonderkommissionen der Länder zu steuern; nicht durch Weisungen, denn dazu war das BKA als Bundesbehörde nicht befugt, sondern durch Informationen. Das Bundeskriminalamt sollte zentrale Sammel- und Auswertungsstelle für Hinweise und Ermittlungsergebnisse in Sachen Terrorismus werden und als eine Art Superhirn den angeschlossenen Landespolizeien und deren Sondereinheiten informatorische Impulse vermitteln. So ließen sich nach Herolds Meinung auch ohne klare Befehlsstruktur »Befolgungsreflexe durch informatorische Überlegenheit« erreichen.
Herold pflegte bis in die Nacht hinein zu arbeiten. Das Amt sollte aufgebaut, ein Computerzentrum installiert und neue Leute, Informatiker und weitere Kriminalisten, eingestellt werden.
Während des Ausbaues der »Hardware« brütete Herold über neuen Anwendungsmodellen für seine Elektronenhirne. Er arbeitete »Vorgaben« aus und erklärte seinen Informatikern, wie er sich in groben Zügen sein Programm vorstellte. »Wenn ihr fertig seid, haltet mir mal einen Vortrag, wie die logischen Abläufe sind, und dann möchte ich mal euren Ablaufplan sehen.« Herold kontrollierte jeden Rechnerschritt und wurde so allmählich selbst zum Computerspezialisten. Als er auch seine Privatwohnung ins Amt verlegt hatte, verließ er »sein Stammheim«, wie er es später manchmal nannte, nur noch dienstlich und werkelte nicht selten nachts selbst an den Elektronenrechnern herum. Er ließ in den BKA -Computer nicht nur Daten von Leuten aufnehmen, die per Haftbefehl gesucht wurden, sondern auch von solchen, gegen die ein Ermittlungsverfahren lief oder von denen »eine Gefahr ausging« – was auch immer damit gemeint sein mochte.
Herold war kreativ, und er war Perfektionist. Er entwickelte sich selbst zum Sachbearbeiter, der bis ins kleinste Detail, bis zur letzten Waffennummer alles im Kopf und im Magnetspeicher haben wollte. Er schlief immer weniger. Er gebar phantastische Ideen, wie man Verbrechen, nicht nur terroristische, schon im Vorfeld bekämpfen könne. Als Grundlage dafür sollte das von der Polizei in Jahrzehnten angehäufte gigantische Datenmaterial dienen.
Manchmal schien es, als würde Herold in der Beurteilung seines Amtes und seiner selbst ständig schwanken: zwischen Überschätzung und Unterschätzung, zwischen Allmachtsphantasien und Verzagtheit, zwischen Selbstbeweihräucherung und Selbstmitleid. Manchmal äußerte er den Gedanken, daß ein Reichskriminalamt nach dem Muster des BKA die Naziherrschaft hätte verhindern können.
Herold verstand viele der politischen Beweggründe der »Baaders und der Meinhofs« sehr genau; nicht zuletzt deshalb war er bei der Fahndung manchmal sehr erfolgreich.
Auf dem
Weitere Kostenlose Bücher