Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
ging auf Baader zu, der nach einer kurzen Begrüßung sagte: »Na, da habt ihr ja euren besten Mann verloren.« Er meinte Georg von Rauch. Das war ein Thema, über das Baumann nicht reden mochte. »Paß auf, wir brauchen jetzt Ausweise. Unsere ganzen Wohnungen sind hochgeflogen. Georg hatte alle Schlüssel bei sich«, sagte er. Baader versprach zu helfen, ließ aber nie wieder von sich hören.
36. Revolutionsfiktion
Bundesinnenminister Genscher äußerte verhaltene Zuversicht. »Ich sage nicht bald, aber in absehbarer Zeit.« Die »Welt« machte daraus die Schlagzeile: »Genscher bläst zum Schlußangriff auf die Anarchistenbande«.
Zwar wurden kurz nach der Berliner Schießerei einige Randfiguren der Gruppe festgenommen, aber der entscheidende Schlag blieb aus. Die Kerntruppe der RAF setzte sich wieder nach Westdeutschland ab.
Andreas Baader hatte ein weiteres Mal die Idee, falsche Spuren zu legen, um die Polizei in die Irre zu führen. Er gab den Auftrag, einen Volkswagen und einen Mercedes 280 SL , der in Hamburg gestohlen worden war, in München abzustellen. Alle wichtigen Gruppenmitglieder hatten in dem Wagen ihre Fingerabdrücke hinterlassen.
Nach mehr als eineinhalb Jahren im Untergrund, die im wesentlichen mit dem immer wieder neuen Aufbau eines logistischen Systems von Autos, Wohnungen und gefälschten Papieren sowie der dazu notwendigen Finanzierung durch Banküberfälle ausgefüllt waren, sollte jetzt mit Sprengstoffaktionen auf die politischen Ziele der RAF aufmerksam gemacht werden.
Zunächst aber brauchte die Gruppe Geld. Zwar hatten BM -Mitglieder auch in den letzten Herbstmonaten gelegentlich Banken ausgeraubt, aber auf Anraten des Bundeskriminalamts war in den Banken der Bestand an Bargeld erheblich reduziert worden, so daß Überfälle wesentlich weniger einbrachten als zuvor.
Manchmal kam es vor, daß nur druckfrische Geldscheine erbeutet wurden, die umzutauschen zu gefährlich gewesen wäre. Deshalb dachte man darüber nach, wie »neues« in »gebrauchtes« Geld zu verwandeln wäre. Die Geldnoten wurden mit schmutzigen Händen gerollt und mehrmals gefaltet. In einer Wohnung verteilten die Gruppenmitglieder Banknoten auf dem Fußboden und liefen tagelang darauf herum. Gelegentlich taten sie des Guten etwas zuviel: Die Geldscheine waren kaum noch als gültiges Zahlungsmittel zu erkennen.
Frankfurt am Main wurde zum neuen Zentrum. Kurz vor Weihnachten 1971 erhielt der Metallbildner Dierk Hoff Besuch in seiner gut ausgerüsteten Werkstatt für künstlerische und kunsthandwerkliche Arbeiten. Drei Jahre zuvor, 1968 , hatte er im Trödlergeschäft eines Bekannten den Studenten an der Berliner Filmhochschule, Holger Meins, kennengelernt. Er hatte ihn schon fast wieder vergessen. An diesem Dezembertag stand Holger Meins plötzlich in der Werkstatt. Er begrüßte Hoff freundschaftlich, so, als seien sie alte Bekannte. Hoff konnte sich anfangs nicht so recht erinnern.
»Woher kennen wir uns?«
»Dich kennt doch jeder, du bist doch stadtbekannt.«
Holger Meins sagte, er arbeite gerade an einem Filmprojekt. Dafür seien bestimmte technische Arbeiten erforderlich. Wenn Hoff Interesse habe, könne man ihm die Aufträge geben. Dierk Hoff erklärte sich dazu bereit.
Einige Zeit später tauchte Holger Meins erneut in der Werkstatt auf, diesmal in Begleitung eines weiteren jungen Mannes: Jan-Carl Raspe, den Meins als »Lester« vorstellte. Holger Meins selbst hatte sich Hoff nicht vorgestellt, aber den Gesprächen zwischen den beiden entnahm der Metallbildner, daß er sich »Erwin« nannte. Die drei setzten sich in den oberen Teil des doppelstöckigen Ateliers und plauderten über Hippies und die Subkultur. Sie rauchten ein bißchen Haschisch, und Hoff zeigte ihnen sein Musterbuch, in dem er verschiedene seiner Arbeiten abgebildet hatte. Manche der Werkstücke waren waffenähnlich. Die beiden Besucher fanden das alles ganz beachtlich und stellten Hoff Aufträge für ihren Film in Aussicht. Das Projekt würde sich zwar noch ein bißchen hinziehen, in der Zwischenzeit könne er aber ein Gerät zum Herausziehen von Hohlsplinten herstellen. Holger Meins hatte ein Muster mitgebracht, und Hoff erklärte sich bereit, sechs Stück davon anzufertigen. In Wirklichkeit handelte es sich um Schloßausdreher, mit denen man Autos aufknacken konnte.
Nach ein paar Tagen kam Holger Meins wieder, lobte die gute Arbeit und zahlte 200 Mark. »Mit dem Film sind wir jetzt soweit. Wir können an die Requisiten
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