Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Weltöffentlichkeit. Sonst sind nicht nur sie und der Rest ihrer Gruppe verloren, es wird auch weiter stinken in der deutschen Publizistik, es wird weiter stinken in der deutschen Rechtsgeschichte.«
Seit dieser Zeit galt Heinrich Böll als Baader-Meinhof-Sympathisant, wie viele andere auch, die versuchten, in der sich allgemein ausbreitenden Hysterie einen Sinn für Proportionen zu bewahren. Heinrich Bölls Appell führte zu einem Sturm der Empörung, vor allem in der rechtsgerichteten Presse. »Bewaffnete Meinungsfreiheit« war ein Kommentar in der »Welt« überschrieben.
Im »Spiegel« antwortete der nordrhein-westfälische Minister für Bundesangelegenheiten, Diether Posser, auf Bölls Polemik: »Böll verharmlost in gefährlicher Weise die Tätigkeit der Gruppe. Der Zorn emotionalisierte seine Kritik und machte sie unsachlich. Seine Polemik übertrieb nicht nur – sie schadete. Er wollte zur Besinnung rufen und schrieb selbst unbesonnen.«
Heinrich Böll korrigierte sich:
»Die Wirkung meines Artikels entspricht nicht andeutungsweise dem, was mir vorschwebte: eine Art Entspannung herbeizuführen und die Gruppe, wenn auch versteckt, zur Aufgabe aufzufordern. Ich gebe zu, daß ich das Ausmaß der Demagogie, die ich heraufbeschwören würde, nicht ermessen habe …
Möglicherweise habe ich mehr demokratisches Selbstverständnis vorausgesetzt, als ich hätte voraussetzen dürfen.
Ich bin Schriftsteller, und die Worte ›verfolgt‹, ›Gnade‹, ›Kriminalität‹ haben für mich andere Dimensionen, als sie notwendigerweise für einen Beamten, Juristen, Minister und auch für Polizeibeamte haben.«
Es war nicht die Zeit für Besinnung. Jeden Tag schürten Zeitungen die Angst vor der Baader-Meinhof-Gruppe, peitschten die Emotionen hoch, gaben dadurch den Gruppenmitgliedern, die regelmäßig das publizistische Echo auf ihre Aktionen studierten, ein Gefühl der eigenen Bedeutung. Neue Großaktionen der Polizei wechselten einander ab, zumeist ohne Erfolg. Für die sozialliberale Bonner Regierung unter Kanzler Willy Brandt wurden Erfolge bei der Jagd nach den flüchtigen RAF -Mitgliedern zur politischen Prestigefrage. Selbst als »Milchbrüder des Terrorismus« verdächtigt, beeilten sich die Sozialdemokraten, den Forderungen der konservativen Opposition nachzukommen.
Kein Zufall, daß ausgerechnet jetzt, am 28 . Januar 1972 , die Ministerpräsidenten der Länder unter Vorsitz Brandts einmütig Sanktionen gegen das für die innere Sicherheit belanglose Häuflein von DKP -Genossen verabschiedeten.
Es war der sogenannte Radikalenerlaß, der auf dem Höhepunkt der BM -Fahndung die politische Verschmutzung der heilen Beamtenwelt verhindern sollte: »Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsantrages.«
Zur Begründung verstieg sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn gar zu der Äußerung: »Ulrike Meinhof als Lehrerin oder Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt, das geht nicht.«
38. Andreas Baaders Daumen
Im Januar 1972 kam es in Köln erneut zu einer Schießerei. Ein Polizeiobermeister entdeckte im Hafengelände von Köln-Niehl einen BMW 2000 mit Berliner Kennzeichen. Er dachte sofort an die BM -Gruppe und stellte sein Motorrad mit laufendem Motor und eingeschalteten Scheinwerfern hinter den Wagen. Dann zog er seine Handschuhe aus und lud die Dienstpistole durch. Von hinten klopfte er an die Scheibe der Fahrertür. Baader drehte die Scheibe herunter und sah den Polizisten an. »Ihre Fahrzeugpapiere bitte«, sagte der Beamte und richtete den Lauf seiner Pistole auf ihn.
»Einen Moment bitte«, sagte Baader, beugte sich zum Handschuhfach, zog eine langläufige Pistole und schoß. Der Polizist hatte die Waffe gesehen und sich blitzschnell zur Seite bewegt. Der Schuß verfehlte ihn. Baader raste davon. Der Beamte schoß hinterher, traf aber nicht.
Ende Januar hatte »Bild« wieder Sensationelles zu berichten. Angeblich hatte sich Andreas Baader bei einem Hamburger Rechtsanwalt gemeldet. Er wolle den Kampf aufgeben und sich stellen. Das las auch Andreas Baader und war empört. Er schrieb an das bayerische Landesbüro der Deutschen Presseagentur und dementierte »Bild«. Seinen Brief unterzeichnete er eigenhändig mit »A. Baader«
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