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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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persönliches Verhältnis zu dem Neuling herzustellen. Plötzlich war sie für ihn nicht mehr die gesuchte Bandenchefin, die prominente Ensslin. »Das war einfach so«, erklärte er später, »ich war ein Genosse, sie war eine Genossin, und da hat man halt was untereinander gemacht.«
    Etwa eine Woche darauf übergab Gudrun Ensslin ihm zwei Kraftfahrzeugscheinreproduktionen und Originalbriefbögen vom Stuttgarter Otto-Graf-Institut und von der Universität. Er solle dreißig bis vierzig Kopien davon drucken. Mit den Briefbögen, sagte sie, könne man eine Menge Zeugs bestellen, das man sonst nicht bekäme. »Wahrscheinlich Chemikalien«, dachte Konieczny, denn er wußte, daß das Institut eine chemische Abteilung hatte.
     
    Mitte Februar war die Diplompsychologin Emiliane M. von einem Mittelsmann angesprochen worden, ob sie bereit sei, einem Paar, das in Schwierigkeiten stecke, zu helfen. Es könne sein, daß diese Leute mit der Bitte um Übernachtung an sie heranträten. Die Psychologin willigte ein. Ihr wurde schnell klar, wer das »Paar mit den Schwierigkeiten« war, nämlich Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Sie hatte Baader nach einem Fahndungsfoto erkannt. Gudrun Ensslin erzählte, ihr Vater sei Pfarrer in Stuttgart.
    Die Psychologin hatte den Besuchern Schlüssel für ihre Wohnung gegeben, und immer, wenn sie den Weg in ihr anderes Quartier scheuten, tauchten sie bei ihr auf. Meistens kamen sie spätabends und ganz leise. Einmal zog Gudrun Ensslin sogar ihre Schuhe aus, um nicht zu stören. Wenn die beiden telefonieren wollten, verließen sie die Wohnung und gingen zu einer Telefonzelle. Ihren Wagen hatten sie immer in einer gewissen Entfernung vom Haus geparkt, so daß ihre Gastgeberin ihn nie zu Gesicht bekam.
    Die Psychologin fand, daß die beiden sehr müde aussahen und gehetzt. Manchmal schreckten sie zusammen, wenn Emiliane die Wohnung betrat. Gleichzeitig taten sie sehr geschäftig. Ihre Bewaffnung erklärten sie damit, daß sie jederzeit mit Maschinenpistolen tragenden »Bullen« rechneten. Irgendwie taten sie Emiliane leid. Schon die Tatsache, daß Baader und Ensslin darauf angewiesen waren, auf Leute wie sie zurückzugreifen, schien ihr ein Zeichen zu sein, daß sich die Zahl ihrer Helfer in der letzten Zeit erheblich verringert haben mußte. »Sonst«, so sagte sie später, »hätten sie sich belastbarere und ideologisch gefestigtere ausgesucht.«
    Die Psychologin bekam mehr und mehr Angst. Aber sie hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn sie den Gesuchten nicht geholfen hätte. Und sie wollte sich nicht blamieren. Einmal versuchte sie, den Kontakt abzubrechen, und schrieb ihnen einen Brief über ihre persönlichen Ängste und Schwächen. Gudrun Ensslin gab ihr den Brief zurück, lächelte dabei mitleidig und sagte: »Heb ihn auf und lies ihn in zwei Jahren noch mal.« Emiliane M. schämte sich und versuchte nie wieder, ihre ungebetenen Gäste loszuwerden.
     
    In den letzten Märztagen des Jahres 1972 kam sie eines Abends spät nach Hause. Baader und Ensslin waren in der Wohnung und wirkten sehr aufgeregt. Telefonisch hatten sie die Nachricht bekommen, im Fernsehen sei der Tod von Ulrike Meinhof gemeldet worden. Sie waren verunsichert, glaubten einen Moment, die Information könnte stimmen.
    In der Wohnung gab es keinen Fernseher, so daß sie die nächste Nachrichtensendung nicht einschalten konnten. Ohne ihre sonstigen Sicherungsmaßnahmen zu befolgen, telefonierten sie von der Wohnung aus, um von Gruppenmitgliedern zu erfahren, ob Ulrike Meinhof noch lebte oder nicht. Nach einer Weile erreichten sie jemanden, der Ulrike Meinhof noch nach der Fernsehmeldung gesehen hatte und auch wußte, wo sie sich aufhielt.
    Tatsächlich geisterte Ende März das Gerücht durch die Bundesrepublik, Ulrike Meinhof sei tot. »Bild« hatte mit der Schlagzeile aufgemacht: »Beging Ulrike Meinhof Selbstmord?« Und auch die »Frankfurter Allgemeine« hatte gemeldet, nach Informationen aus Bonn sei Ulrike Meinhof »bereits Ende Februar gestorben«. Als Todesursache wurden an der Gerüchtebörse mehrere Versionen gehandelt: Tod durch Tumor etwa oder Selbstmord mit Gift aufgrund von Depressionen wegen einer unheilbaren Krankheit. »Bild« verwies sogar auf angebliche Tips aus linksradikalen Kreisen an die Hamburger Polizei, Ulrike Meinhof sei »unter falschem Namen in einem Hamburger Krematorium verbrannt und beerdigt worden«.
    Als »Bild« die Schlagzeile veröffentlichte, Ulrike Meinhof habe wegen schwerer

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